Ganz spontan sind wir heut wieder zu viert in „unser“ Flüchtlingsheim gefahren. Der Besuch war ganz anders, als der am Freitag. Deswegen muss ich euch schnell davon erzählen. (Am Samstag sind die Kinder wieder da, dann hört das alle-zwei-Tage-bloggen auf…)
Mit dem Freund, der auch am Freitag dabei war und einer anderen Freundin fuhren wir gegen 17:00 Uhr zum Heim. Wir waren diesmal vorher angemeldet und wären gar nicht mehr in den Haupteingang gelassen worden, hätten wir das nicht getan. Ein paar Security-Männer fragten sehr genau, wer wir seien, warum wir gekommen waren und dass spontane Hilfe nicht mehr so gesucht war. Als wir allerdings sagten, dass wir zu einer Kirche gehören und gern Kinderbetreuung machen wollten, machten sie augenblicklich Platz und schoben uns fast in das Gebäude. Allerdings erwähnte der „Chef“ noch, dass viele der Kinder wirklich sehr traumatisiert seien und wir uns nicht wundern sollten, wenn sie plötzlich um sich schlagen oder Dinge nach uns werfen würden…
Wir zeigten unserer Freundin kurz die untere Etage. Viele Menschen waren diesmal in den Gängen und Zimmern unterwegs. Es roch nach Rauch, Essen und feuchter Kleidung. Ein paar Jungs und Männer warteten im Kinderraum, sie hatten freie Tickets bekommen und sollten später zum Fußballpiel Hertha – Köln abgeholt werden.
Mein Mann gesellte sich zu ein paar Jugendlichen, die Tischtennis spielten und wir drei gingen wieder in den Kinderraum. Es sah anders dort aus, ein paar Tische fehlten und die vollen Spielzeugkisten waren verschwunden. Die Schränke, die am Rand standen, waren wild durcheinander vollgestapelt und der Boden sah wieder so chaotisch aus. (Noch mehr Puzzleteile) Ein großes Fenster stand offen, Spielzeug lag im Hof, die Poster an den Wänden waren verschwunden – aber der Raum war voller Kinder.
Wir brauchten ein paar Minuten, um uns einen Überblick zu verschaffen. Ich besprach mit meiner Freundin, dass wir uns einfach irgendwo dazu setzen könnten.. malen, Bücher angucken, puzzlen. In der hintersten Ecke saßen zwei Kinder um ein Duplo-Haus herum, kleine Kinder stapften mit unsicheren Schritten über den Boden und wir entdeckten später eine andere deutsche Frau, die mit ein paar Männern die Sprache lernte.
Ich erkannte ein kleines Mädchen wieder, suchte mir einen angespitzten Stift und einen Fetzen Papier vom Boden und kniete mich neben sie. Aber sie wollte lieber Puzzleteile durch die Luft schmeißen. Auch gut, wir hätten sowieso niemals alle Teile eines Puzzles gefunden. Sie legte immer ein Teil auf einen kleinen Holzstock (Warum liegt da sowas rum?), zählte „Eins, zwei, drei“ und warf es fröhlich hinter sich. Eine Mama aus Afghanistan saß mit am Tisch. Ihre Tochter sei 4 1/2 und sie 27, erzählte sie mir. Sie staunte, dass ich schon zwei Söhne habe, denn sie hätte mich viel jünger eingeschätzt.
Meine Freundin saß inmitten einiger älterer Kinder, die alle etwas englisch sprachen und sie waren gut im Gespräch. „Ich heiße“, „Wie alt bist du?“, „Das ist meine Schwester.“ und so weiter. Später saß sie mit einem Vater und zwei Söhnen zusammen und mit Hilfe von Kinderbüchern lernten sie viele Worte wie Auge, Nase, Mund, die Tiere, du, ich, Mann, Frau… in deutsch und arabisch. Der Vater lebt seit 11 Monaten hier und konnte schon ein paar Sätze bilden.
Ich fand ein vollständiges! Holzpuzzle mit Tieren und puzzelte mit dem Mädchen, sie war ungefähr vier Jahre alt, weiter. Sobald ich mich kurz weg drehte, stubste sie mich wieder an und rief „My friend, my friend!“. Ich brachte ihr die Namen der Tiere bei, sie wiederholte sie richtig gut. Immer wieder sagte sie aber „Elefantsch“ und ich versuchte, deutlicher zu sprechen.
Sie gestikulierte, machte Geräusche, um ihre Gesten zu unterstützen und lachte und scherzte. Ich sah mir ihr Gesicht an und fragte mich, was sie in ihrem kurzen Leben schon alles erlebt und gesehen hatte. Wir fanden dann alle Tiere vom Puzzle auch als Kuscheltiere und sie versuchte, sich an die deutschen Namen zu erinnern. Elefant, Eisbär, Reh, Katze, Pferd, Giraffe, Löwe.
Immer wieder flog tatsächlich Spielzeug durch die Luft und immer wieder weinte ein Kind, wenn es getroffen wurde. Mamas oder ältere Geschwister redeten auf die kleineren Kinder ein. Ich versuchte es auch erbärmlich mit „Nein“ und stellte fest, dass sich ja auch einige Kinder untereinander wahrscheinlich nicht verständigen konnten. Eine ältere, verschleierte Frau lief mit ihrem Telefon durch den Raum. Sie hatte feuchte Augen und auf dem Telefon war zu erkennen, dass sie gerade mit jemand skypte und der Person alle Verwandten in diesem Raum kurz zeigte.
Irgendjemand stand plötzlich hinter mir und hielt mir die Augen zu. Ich drehte mich um und sah, dass es dieses Mädchen war, die mich am Freitag nach einer kleineren Hose gefragt hatte. Ich hätte nicht gedacht, dass sie mich wiedererkennen würde und zeigte ihr, dass ich mich freute, sie zu sehen.
In einer Ecke hatte sich ein anderen kleines Mädchen, wahrscheinlich die Schwester meiner Freundin, einen kleinen Zaun aus Büchern gebaut und nun hockte sie lächelnd in ihrem „Häuschen“. Andere Kinder jedoch warfen die Bücher um und schleuderten Kuscheltiere in ihre Richtung. Mehrmals zog ich eins meiner Mädels vom Regal oder vom offenen Fenster weg. Es herrschte wirklich ein lebendiges Gewusel in diesem Raum.
Inzwischen waren die Fussball-Jungs gegangen, mein Mann hatte beim Tischtennis gewonnen und unser Freund beim Backgammon verloren. Es wurde leerer, weil auch das Abendessen im Nebenraum verteilt wurde. Ich setzte mich zu meiner Freundin und den Jungs, die immernoch Wörter in den Sprachen austauschten. Wir blätterten in einem Donald Duck-Comic, suchten uns Gegenstände und übersetzten sie. Bei Worten wie Banane oder Fisch freuten sich die Jungs, dass es in englisch ähnlich klang. Sie lernten so gut. Der Papa fand ein Kuscheltier hinter sich und fragte uns nach dem Namen. Wir waren uns nicht sicher, was es sein sollte und entschieden uns für „Eichhörnchen“. Er sah uns mit großen Augen an und brach sich fast die Zunge. Als wir es ihm aufschrieben, sagter er: „Nicht gut, nicht gut.“. Aber auch seine Worte nachzusprechen, war wirklich nicht leicht für uns. Als wir uns verabschiedeten, fragten sie, zu welcher Zeit wir morgen wiederkommen würden.
Das alles und mehr ist ungefähr in einer Stunde passiert. Länger waren wir nicht da.
Heute habe ich diese vielen, fremden Kinder wirklich in mein Herz geschlossen.