Als Emilian auf die Welt kam

22. März 2019

Mein großer Sohn, mein Erstgeborener ist jetzt 9 Jahre alt. Er hat mich zur Mama gemacht, er hat mich sanft in dieses Mama-sein geführt und mich in Ruhe alles lernen lassen.

Ganz anders als ruhig und sanft war allerdings seine Ankommen hier. Ich erinnere mich noch gut daran, meine allererste Geburt!

Geburtsbericht

21. März 2010, 03:03 Uhr

Mein Mann und ich waren drei Jahre verheiratet.
Anfang 2009 werde ich zum allerersten Mal schwanger. In der 8. Woche, Ende März, bekomme ich Blutungen und starke Schmerzen. Mit Bauchkrämpfen fahre ich von der Arbeit zum Arzt, die Frauenärztin sagt mir, dass ich das Baby verlieren werde. Wir sind darauf nicht vorbereitet, wissen nichts von Fehlgeburten und sind sehr erschrocken und traurig.

Ich gehe an einem Nachmittag zur Ausschabung ins Krankenhaus und wünsche mir einfach nur, schnell wieder schwanger zu werden – und es klappt wenige Monate später. Mein neuer Entbindungstermin wird der 24. März 2010, genau 1 Jahr später.

Als die gefürchteten ersten drei Monate vorbei sind, freue ich mich mehr und mehr auf das Baby. Es wird das erste Enkelkind auf beiden Seiten und die Vorfreude ist groß! Die Schwangerschaft ist entspannt für mich, ausser einer leichten Übelkeit kann ich mich an keine Wehwehchen erinnern.

Die Bücher, die ich gekauft oder geliehen hatte, lese ich kaum. Ich entdecke mehr und mehr, wie gut mein Mutterinstinkt funktioniert. Meine Mama hat alle ihre vier Kinder sehr schnell bekommen, von schweren Geburten hat sie nicht erzählt. Ich bin fest davon überzeugt, dass es mir ähnlich gehen wird, ich bin optimistisch und glaube daran, dass alles gut wird.

Wir haben eine Beleghebamme für uns gefunden. Durch Geschichten von Freunden wurde uns viel Angst vor dem Krankenhaus und den Keimen gemacht, so dass ich mich entscheide, ambulant und mit Beleghebamme zu entbinden.

Am Nachmittag des 20. März, an einem Samstag, kommt meine beste Freundin zu Besuch, um bei mir zu sein und mir in den letzten Tagen ohne Baby zu helfen. Kurz nachdem sie angekommen ist, erzählt sie mir, dass sie auch mit ihrem ersten Baby schwanger ist! Nach erster großer Freude reagiere ich eher mitleidig, weil ich am Ende meiner Schwangerschaft und mit bevorstehender Geburt nicht mehr so gut drauf bin..
Mein Mann ist an diesem Tag unterwegs, er kommt gegen 17:00 Uhr nachhause und wir essen zusammen.

Später gehe ich zur Toilette und obwohl meine Blase leer ist, merke ich, dass es irgendwie weiter tropft. Ich hatte bis dahin nicht ein einziges Anzeichen einer bevorstehenden Geburt und habe ja schließlich noch 4 Tage Zeit. Also erschrecke ich. Ist das jetzt Fruchtwasser? Kann es sein, dass es jetzt schon soweit ist?

Ich gehe zurück ins Wohnzimmer und informiere meinen Mann und meine Freundin vorsichtig über meinen Verdacht. Mein Mann freut sich – er findet einen Samstag Abend perfekt, ausserdem sei er frisch geduscht und fit – er könnte jetzt los. So sei es doch viel besser, als mitten in der Nacht aufzuwachen… Meine Freundin kann es kaum glauben, live dabei zu sein und freut sich riesig. Ich bin einfach nur aufgeregt und überrascht. Ich setze mich auf mein Stillkissen und auf Decken, um keine Pfützen zu hinterlassen und versuche, ruhig zu bleiben… gar nicht so einfach.

Ich habe keine Schmerzen, aber das Fruchtwasser tropft und tropft weiter. Wir rufen meine Beleghebamme an und sie kommt aus der Nachbarschaft schnell mit dem Fahrrad vorbei, um mich zu untersuchen. Während ich im Schlafzimmer auf dem Bett liege und sie durch Gucken und Riechen feststellt, dass die Flüssigkeit, die aus mir heraus tropft, wirklich Fruchtwasser ist, bewundert sie meine Ohrring-Sammlung. Das ist irgendwie komisch für mich. Ich liege da… im Angesicht einer Geburt und kurz davor, Mutter zu werden – und sie fragt mich, ob diese oder jene Ohrringe selbstgemacht sind. Wahrscheinlich Ablenkung.

Da ich keine einzige Wehe habe, verabschiedet sich die Hebamme bald wieder, nicht ohne mir ein paar homöopathische Kügelchen zu geben. Und wir besprechen, uns am nächsten Morgen, Sonntag, gegen 9:00 Uhr im Krankenhaus Berlin-Friedrichshain zu treffen.

Kurz nach der Hebamme geht auch meine Freundin, aufgeregt wünscht sie uns eine Gute Nacht. Und ich war auch aufgeregt!

Mein Mann und ich sind wieder allein – und da spüre ich das erste leichte Ziehen im Rücken. Es ist ungefähr 22:00 Uhr. Die Krankenhaustasche steht bereit. Unsicher und aufgeregt versuchen wir, uns ins Bett zu legen und uns noch auszuruhen.

Die Geburten meiner Mama waren wirklich schnell, ich habe das immer im Hinterkopf und ich hatte der Hebamme immer mal wieder davon erzählt. Sie glaubte mir nicht so richtig. Im Geburtsvorbereitungskurs, den sie geleitet hatte, erzählte sie, dass eine Geburt so ungefähr 8 Stunden, wie ein Arbeitstag, dauern würde – und da sie die Erfahrene ist, glauben wir ihr und warten an diesem Abend eben ab – obwohl die Wehen sanft, aber schon regelmäßig kommen. Vorsichtig und gut wegzuatmen, aber eben regelmäßig und schon schnell in kurzen Abständen.

Ich lege mich ins Bett, stehe wieder auf, laufe herum, das Fruchtwasser tropft und ich zittere vor Nervosität und Aufregung. Mein Mann sorgt gut für mich, er bringt mir Essen und Trinken und beruhigt und tröstet mich. Ich genieße seine Ruhe und Zuversicht.

Als mir schlecht wird, bringt er mir einen Eimer. „Alles normal, Magen und Darm entleeren sich vor einer Geburt.“ – sagte man uns später. Ist wahrscheinlich auch besser so.

Ich habe kaum mehr richtige Wehenpausen. Aber wir warten noch ab. Wir können nicht einschlafen und gegen 1:00 Uhr ruft mein Mann die Hebamme wieder an, um ihr von meinen Wehen und den kurzen Abständen zu erzählen. Völlig verschlafen bittet sie mich ans Telefon. Ich kann ihr kaum irgendwas erzählen – und sie glaubt mir. Es geht los! Ich kann nicht mehr viel sagen und kaum laufen, die Wehen kommen so oft!

Mein Mann bringt die Tasche ins Auto, ich warte oben, atme, keuche und zittere. Es ist eine frische Nacht im März, mein Mann zieht mir seinen riesigen weißen Bademantel an. Und er nimmt einen unserer Stühle mit, weil ich viele Pausen auf dem Weg durch den Flur mit Fahrstuhl zum Auto brauche. Es ist mitten in der Nacht und ich bin froh, dass uns keiner sieht. Ich sitze dann im Auto und keuche weiter, mein Mann flitzt und bringt den Stuhl wieder zurück in die Wohnung. Wir denken sogar noch daran, den kleinen Autositz für unser Baby mitzunehmen.

Es geht los, ich atme dankbar die frische Luft durch das offene Fenster ein und halte mich verkrampft an der Tür fest.

Weil wir eine Beleghebamme haben, die nur im Klinikum Friedrichshain entbindet, haben wir uns das Krankenhaus nicht vorher angesehen, um es auszuwählen. Hätten wir aber mal tun sollen. Der riesige Haupteingang ist nicht zu übersehen – aber der Eingang zu den Kreißsälen ist ganz woanders. Und kein Fußweg. Wir fragen uns durch, landen in einer Baustelle und finden irgendwann doch noch die Tür zum Kreißsaal. Verrückt, dass man sich tatsächlich mitten in der Nacht mit Wehen auch noch verfährt…

Um 1:50 Uhr sind wir da. Irgendwie komme ich aus dem Auto, unsere Hebamme ist kurz vor uns angekommen. Ich bin erleichtert, sie zu sehen. Es ist sehr ruhig und angenehm dort, vielleicht bin ich sogar die einzige Entbindende zu der Zeit.

Ich komme wirklich kaum noch vorwärts, aber weil ich eine Erstgebärende bin und es ja nicht eilig haben kann, lässt man sich Zeit mit uns und zeigt mir zwei freie Kreißsäle. Ich soll sagen, welcher mir besser gefällt. Ich sehe und höre nichts um mich herum. Ich kann einfach nicht mehr und möchte jetzt gerade keine Führung. Also setze mich im ersten Raum einfach auf einen Stuhl. Ich nehme weder meinen Mann, noch die Beleghebamme wahr – erst Recht nicht das Krankenhauspersonal. Ich fühle mich völlig überfordert und in Schmerzen. Obwohl ich vorher ganz sicher anderer Meinung war, sage ich immer wieder: „Ich will eine PDA, ich will eine PDA.“ Dafür ist es aber viel zu spät.

Normalerweise wird mit einem CTG begonnen, ich lege mich auf dem Rücken in ein Bett und bekomme die Bauchbänder um, die die Herztöne des Babys messen. Der Herzschlag des Babys klingt nicht gut und endlich, endlich kommt den Schwestern und meiner Hebamme auch der Gedanke, dass es jetzt vielleicht doch schnell gehen wird.

Im Geburtsbericht las ich, dass ich Wehenhemmer bekommen hatte. Das hab ich nicht mehr gemerkt.

Es ist nach 2:00 Uhr. Und dann geht es wirklich schnell. Der Muttermund ist vollständig geöffnet. Ich liege im Bett auf dem Rücken und habe jetzt starke Wehen. Es zieht ordentlich im Rücken und ich atme und keuche und jammere irgendwas von „Ich hab Angst.“ und „Ich kann nicht mehr.“ Um mich herum nehme ich nichts mehr wahr. Irgendwo höre ich die Hebamme sagen: “Du machst das sehr gut!”.  Und ich merke auch, dass es gut tut, die Wehen wegzuatmen. Das geht wirklich! Dass meine Beleghebamme aber ein bisschen unruhig wirkt, macht mich auch unsicher. Mein Mann steht neben mir, hält meine Hände – eigentlich halte ich seine. Ich umklammere sie. Es gibt am Bett nichts anderes zum Festhalten.

Zwischen den Wehen gibt es kaum noch Pausen und ich bemerke irgendwann, dass eine Ärztin mit im Raum ist und es ein bisschen hektisch wird. Das Baby ist wahrscheinlich im Stress, die Nabelschnur ist um den Hals und um das Bein gewickelt und zieht sich nun mit der Geburt straff.

Eine Saugglocke wird vorbereitet und auf den Kopf des Babys gesetzt. Ich spüre, dass ich jetzt mit dem Pressen anfangen muss. Es drückt alles nach unten. Es passiert einfach, ich kann nicht anders. Und die schlimmsten Vorstellungen, die ich vorher durch Erzählungen oder Vorstellungen von Dammrissen oder der tatsächlichen Geburt des Köpfchens hatte, sind weg, weil es einfach passiert.

Ich habe Schmerzen, mit wenig Pausen und wenig Zeit zum Denken. Man sagt mir, dass ich das Kinn auf die Brust legen, die Augen schließen und pressen soll. Ich presse und der Kopf ist da. Ich presse noch einmal, weil ich keine Pause möchte und weil ich es einfach hinter mir haben möchte.

Und es flutscht.

Unser Sohn ist da! Es ist 3:03 Uhr.

Das große Glücksgefühl, von dem alle so reden, überkam mich nicht. Die Geburt ging schnell. Viel zu schnell. Mein Kopf konnte überhaupt nicht hinterherkommen.

Das Baby liegt jetzt friedlich, leise und ruhig atmend auf mir… ja, überwältigt waren wir! Er war so klein und so weich und so zerbrechlich! Er trinkt an der Brust, ich bekomme Oxytocin und 7 Minuten nach der Geburt kommt die Plazenta.

Ich sehe große rote Kratzer auf den Händen meines Mannes und erschrecke. Ich frage ihn: “Was ist denn mit deinen Händen passiert???” Dass ich das war, kann ich kaum glauben.

Ich muss genäht werden. Meiner Meinung nach war das der schlimmste Teil der ganzen Geburt! In meiner Erinnerung passierte das ohne Betäubung. Vielleicht, weil wir schnell wieder nachhause wollten? Ich weiß es nicht mehr. Es tut sehr weh! Mein Baby liegt ruhig auf meinem Bauch, in ein rotes Handtuch eingewickelt. Wenn er nicht dort gelegen hätte, hätte ich die Ärztin, die zwischen meinen Beinen rumwirtschaftete, weggetreten.

Wir rufen unsere Eltern an und machen erste Fotos. Ungläubig sehen wir uns unseren kleinen Sohn an.

Ich bekomme ein Brot vom Abendessen des letzten Tages und mein Mann versucht, im Sitzen ein bißchen zu schlafen. Ich bin hellwach! Durch das offene Fenster höre ich die Vögel und sehe den Sonntagmorgen anfangen – und dann überkommt mich doch ein großes Glücksgefühl! Bis zum Morgen dürfen wir im Kreißsaal bleiben.

Später übe ich, aufzustehen. Um 6:50 Uhr dürfen wir nachhause gehen.

Die Krankenhaustasche nehmen wir unberührt wieder mit.

Und um 9:00 Uhr, die Zeit, in der uns die Hebamme im Krankenhaus treffen wollte, liegen wir drei schon zuhause in unserem Bett und ruhen uns aus.

21. März
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