15. April 2020
Vor einem Monat haben wir den 8. Geburtstag des Sohnes gefeiert. Das war genau zwischen der Bekanntgabe der Schulschließung und der tatsächlichen Pause, ein kleiner vorsichtiger Abschied des sozialen Lebens.
Ich war voller Vorfreude und Optimismus und Spannung.
So viel Familie. So viel Freizeit. So viel Frühling.
Nun sind fast 5 Wochen Corona-Ferien um.
In der Zeit gab es einen Kindergeburtstag, meinen Geburtstag, das Oster-Fest, Ferien.. und alles war irgendwie komisch.
Heute wurden die Einschränkungen verlängert und… ganz ehrlich.. ich denke nicht, dass wir vor Sommer nochmal so richtig in Schule und Kita gehen werden. An große Veranstaltungen, Reisen und Gottesdienste ist gar nicht zu denken.
Uns persönlich geht es gut.
Wir sind gesund!
Wir haben uns und Haus und Garten, können einkaufen, uns aus dem Weg gehen, viel Zeit zusammen verbringen, müssen fast nie auf einen Kalender oder eine Uhr gucken.. nur mal beim Kuchen backen vielleicht.
Unsere Kinder haben die Schulaufgaben beendet, sie trainieren hier und da weiter, eher interessenzentriert. Aber sie sind eben Kinder und saugen das Leben auf, wo sie können.
Ich frage mich…
… wie geht es anderen Familien, Menschen?
Finanziell? Räumlich? Gesundheitlich? Schulisch?
Mein Herz wird schwer, wenn ich an so viele Einzelschicksale denke, denen die Ungewissheit den Schlaf raubt.. wo Corona vielleicht Lebenspläne und -ziele umwirft und Rechnungen durchkreuzt und Möglichkeiten und Chancen durcheinanderwirbelt.
Das ist eine einzigartige Zeit, die wir da zusammen erleben.
In Berlin und in meiner Internet-Blase merke ich das ZUSAMMEN ganz schön und das gefällt mir gut.
Trotz allem Optimismus und aller Leichtigkeit und allen rosa Wolken… ich merke, dass diese außergewöhnliche Zeit mit den vielen Fragezeichen etwas mit mir macht.
Ich habe heute einer Freundin geschrieben:
„Wie geht es dir?“
und sie antwortete:
„Ich weiß es nicht.“
Das trifft es irgendwie.
Ich schrieb ihr:
„Ich hab das Gefühl, mich langsam zu verlieren…“
Ich kann das nicht beschreiben. Es geht mir wirklich gut.
Ich mache mir wenig Sorgen, ich habe immer Grund zur Freude, ich habe keine Langeweile, ich backe Kuchen und bringe ihn Nachbarn, ich fahre Fahrrad mit den Kindern, ich schlafe lange aus und ich bin wirklich gern mit meinen Kindern zuhause. Ich bin einfach gerne Hausfrau und Mama – so langweilig das klingt.
Damit ihr euch nicht wundert:
Meine Söhne streiten sich. Sie prügeln sich. Sie machen fürchterlichen Dreck beim Essen und Spielen. Sie schießen Blumen mit dem Fußball kaputt. Sie stopfen sich mit Süßigkeiten voll. Sie kriegen jedes Hosenbein kaputt. Sie malen sich oder Wände mit Stiften an. Sie kippen Trinkbecher um. Ich brülle sie an, weil sie ihr Zimmer nicht aufräumen. Sie experimentieren im Kinderzimmer mit Flüssigkeiten, wischen Missgeschicke mit Handtüchern auf und wundern sich, woher ich das weiß. Sie hinterlassen Spuren in der Toilette. Sie springen mit Sand in den Hosentaschen in mein Bett. Sie niesen mit vollem Mund auf die Couch. Sie sind eben Kinder. Wild und gefährlich.
Trotzdem bin ich gern Vollzeit-Mama.
Ich mag das.
Aber ich merke, dass da was fehlt.
Und diese Lücke wird größer.
Entspannt einkaufen gehen.
Mit den Kindern Eis essen.
Freundinnen umarmen.
Zu Oma fahren.
Besuch haben.
Freie Vormittage haben.
In Gruppen zusammen stehen und feiern.
In den Gottesdienst gehen!
Freunde ohne Bildschirm anschauen.
Menschen sehen, fühlen, riechen.
An den See fahren.
Durch Geschäfte schlendern.
Mit den Erziehern und Lehrern quatschen.
Ausflüge machen.
Mit dem Bus fahren.
Freunde besuchen.
Ich bin dankbar, dass die Regelungen der Politiker langsame Erfolge zeigen und dass wir viele folgsame, verständnisvolle und mitdenkende Mitbürger haben.
Ich bin dankbar für unzählige wunderbare Online-Angebote.
Ich bin dankbar für so viele Möglichkeiten, soziale Kontakte zu halten.
Ich bin dankbar, dass meine Kinder gut mitmachen und bis jetzt einfach akzeptieren, was ist und annehmen, was kommt.
Ich bin dankbar für Platz und Sonne und Zeit.
Und Gesundheit.
Diese vielen Fragezeichen bringen mir ein bißchen Unruhe und ich frage mich, wie viele Veranstaltungen und Pläne noch gestrichen werden, über wie viele Wochen oder Monate oder Jahre wir noch reden.
Aber was wenn alles gut geht?
Bis dahin schreibe ich weiter meine nach-Corona-Wunschliste, ich werde Zaun-Besuche machen, telefonieren, gute Musik anhören und mich über die kleinen Dinge im Leben freuen. Mit ein bißchen mehr Schwere vielleicht, aber sonst wie immer.
Liebe Marit, Du hast mir aus der Seele geschrieben! Auch unserer Familie geht es gut, wir können Homeoffice machen, hierzulande geht Distanzunterricht eigentlich vergleichsweise gut – wenn ich denke, was ich über andere Länder gehört habe -, aber irgendwie… treibt alles auseinander.
Unsere Jungs sind grösser, nämlich 15, 13 und 11 Jahre alt, da merken sie schon, dass es im Leben etwas Grundliegendes anders ist. Sie machen sich auch Sorgen, was wird, wenn…
Aber eines Tages ist das Ganze vorbei. Dann können wir wieder in die Kirche und uns über Gottesdienste freuen, Freunde treffen, entspannt einkaufen, reisen… Eines Tages. Bis dahin machen wir diese kleinen Schritte, ein Schritt auf einmal. Aus einem unserer Kirchenlieder – „Mehr sollst Du nicht auf einmal nehmen als einen Tag, Hand Gottes ist über Alles.“