CoronaEltern

21. April 2020

Ich habe mich nie politisch engagiert.
Ich habe es nie gelernt, nie gebraucht, nie gewollt.
Ich habe den Sinn nicht verstanden, laut zu schreien, wenn alle laut schreien, zu kämpfen und zu fordern, zu demonstrieren, zu protestieren.
Macht es überhaupt einen Unterschied?

Ich bin die, die denkt:
Alles wird gut.
Die anderen werden schon wissen, was sie tun.
So schlecht geht es uns gar nicht.
Wir kriegen das schon hin.

****

Jetzt geht es wieder los.
#CoronaEltern heißt der neueste Aufschrei.
(Eltern schreien übrigens nicht zum ersten Mal…)

Und ich frage mich:
Hört man uns?
Bringt das was?
Was wollen wir überhaupt?
Wir schaffen das doch, oder?

Meist genieße ich die Zeit ohne Termine.
Das Ausschlafen. In den Tag leben.
Ich bin ungeduldig,
aber eher entspannt und optimistisch.
Ich habe viel zu tun und auch mal Langeweile.
Ich vermisse meine Freunde und Familie –
mehr als ich sagen kann.
Ich möchte RAUS, ins Leben,
in den Berliner Sommer!
Aber so insgesamt bin ich gelassen.

Doch plötzlich kommt es näher.
Die Fragen. Die Sorgen. Das Zweifeln.
Das Hinhalten. Keine Lösung.
Abwarten.
Schaffen wir das?
Wie schaffen andere das?
Wie lange schaffen wir das?

Ich kann sagen:
Wir schaffen das. Irgendwie.
Wir können unsere Arbeit aufteilen, pausieren. Wir haben keine Existenzängste. Wir haben verständnisvolle Mitarbeiter. Ich habe Zeit und Kraft, den Kindern bei den Schulaufgaben zu helfen. Wir haben äußerst hilfsbereite Lehrer, die gerade weit über ihre Extrameile gehen. Wir haben gute Möglichkeiten, um mit Lehrern in Kontakt zu bleiben. Der Kleine kann sich mit Hilfe beschäftigen. Die Kinder sind verständnisvoll, geduldig und stark. Sie können sich lange in Ruhe alleine beschäftigen. Wir haben den Garten, um uns aus dem Weg zu gehen. Wir können zu Fuß einkaufen. Wir sind gesund. Wir sind gesund!

Aber Fragen, die ich mir eventuell nicht stellen möchte, sind:
Wann können wir wieder den Gottesdienst besuchen?
Wann können wir ohne Sorge einkaufen gehen?
Wie wird mein 3jähriger Sohn nach 5-6 Monaten Pause wieder mit der Kindergarten-Zeit beginnen?
Wann gehen die Großen wieder in die Schule?
Wie wird es den Klassenkameraden jetzt gehen?
Wie ist die Stimmung so in den anderen Familien?
Mit welchem Schulmaterial geht es wann weiter?
Wie wird es, wenn ich nächste Woche wieder im Kindergarten arbeiten gehe?
Welche Auswirkungen hat diese Zeit.. in jeder Hinsicht?
Bleiben wir gesund?
Wann hört die Angst vor Nähe auf?
Wann sehe ich meine Großeltern wieder?
Wie geht es Menschen, die alleine leben?
Wie geht es Kindern, für die Schule und Kita eine Flucht vor ihrem Zuhause ist?
Wie geht es Eltern, denen das Geld oder die Kraft.. oder beides ausgeht?
Wie viele Familien, Beziehungen, Personen gehen gerade kaputt?
Gibt es Menschen, denen ich helfen könnte, sollte?
Wie kann ich wissen, wie es meinen Freunden wirklich geht?
Wie viele Veranstaltungen werden wir noch absagen?
Wie viele Feste müssen wir online feiern?
Wann können wir wieder ins Café, ins Restaurant?
Werden wir im Sommer nach Kalifornien fliegen können?
Wie lange werden sich meine Jungs von mir unterrichten lassen?
Wann kann ich aufhören „Das geht jetzt leider nicht.“ zu sagen?
Wird diese Zeit im Rückblick ein heller oder dunkler Fleck in unserem Leben sein?
Nein, diese Fragen werde ich mir lieber nicht stellen.

Der Kleine hat heute, zum ersten Mal nach 6 Wochen!, traurig von seinen Kindergarten-Freunden erzählt und gefragt, wo sie sind.
Sofort habe ich ein 3-Sekunden-Video mit einem „Hallo!“ von ihm gemacht und in die Kita-What’sAppGruppe geschickt. Innerhalb kürzester Zeit antworteten 5 Kinder mit ähnlichen Videos und unser Sohn hat so sehr gestrahlt! Er versteht immernoch nicht, warum er seine Freunde nicht sehen darf.. aber er schaut sich immer und immer wieder diese Videos an.

Es gibt Zeiten, da sind wir dankbar für die Online-Kontakte, dankbar für die Familienzeit, dankbar für frisch gebackenen Kuchen, dankbar für 4 Familien-Mahlzeiten am Tag, dankbar für den Sonnenschein im Garten…

… und dann gibt es auch solche Schul-Vormittage:

In solchen Momenten, wo ich nicht weiß, ob ich lachen oder schreien soll, ist immernoch mein Mann da, der mir Kaffee oder Wein gibt und mich zum Lachen bringt. Und dann gebe ich den Kindern Schokolade und schicke sie in die „große Pause“. Für Corona-Elterngeld, Soforthilfe oder Entschädigung geht es uns viel zu gut.

Aber diesmal springe ich mit auf die Welle.
Denn es muss etwas passieren!
Dass Deutschland und Berlin gerade einigermaßen weiterleben kann, haben wir vielen vielen Mamas und Papas zu verdanken.
Viele getroffene Entscheidungen treffen Eltern gerade hart…
Entscheidungen, getroffen von Personen, die wenig Zeit mit kleinen Kindern verbringen. Erst Recht nicht 24/7. Erst Recht nicht im HomeOffice.

Ich schreie mit für die, die nicht können.
Die nicht mehr können.
Die nicht gehört und gesehen werden.
Die wieder vergessen werden.
Die sich tapfer durchbeißen.
Die für ihre Familie stark bleiben.
Die die Extrameile gehen.
Die nichts dafür kriegen.

Das Internet ist seit ein paar Tagen voll von #CoronaEltern .
Da sind Eltern, die viel aushalten und viel erklären,
viel basteln und trösten, viel trauern und vermissen,
viel verzichten, vorlesen und nicht verstehen.
Eltern, die wenig schlafen, wenig Verständnis bekommen,
sich wenig mit Erwachsenen treffen, wenig Ruhe haben,
wenig den Frühling genießen können
und sich wenig unterstützt fühlen.

Schaut hin, Politiker!
Hört nicht mehr weg!

#wirsindviele

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