18. März 2019
Ich wollte schon immer mal meine Geburtsberichte mit euch teilen. Weil ich gern andere Berichte lese und höre und weil es für mich sehr besonders war, sie aufzuschreiben.
Seit ich eine Doula bin, war das alles nochmal doppelt interessant für mich. Ich habe erfahren, dass ich mir meine Geburtsprotokolle aus der Klinik anfordern kann. 30 Jahre müssen sie aufgehoben werden. Ich habe angegeben, dass ich „aus persönlichen Gründen“ die Berichte gern hätte – und habe alle drei ohne Probleme bekommen. Das war toll! Ich habe die Hebammen-Notizen mit meinen Notizen verglichen und so sind umfangreiche Geburtsberichte meiner Söhne entstanden.
Was gibt es für einen passenderen Zeitpunkt, als zum Geburtstag des Kindes an die Geburt zu denken?
Liam, wir lieben und feiern dich und freuen uns, dass du da bist!
Geburtsbericht
15. März 2012, 03:10 Uhr
Als Emilian ein bißchen älter als 1 Jahr alt ist, werde ich wieder schwanger. Ohne das geplant zu haben, wird der Entbindungstermin wie vor zwei Jahren wieder genau der 24. März. Bis auf eine starke Blutung um die 10. Woche herum, die mich natürlich geschockt hat, verläuft die Schwangerschaft problemlos. Die Blutung kam wahrscheinlich von irgendeinem geplatzten Gefäß.
Mein Mann, der bis vor kurzem von zuhause als Musiklehrer und Produzent gearbeitet hat, beginnt eine 40 Stunden-Woche im Büro mit langem Arbeitsweg. Ich bin jetzt also tagsüber lange allein mit Emilian und mit Babybauch.
Als ich im 8. Monat schwanger bin, ziehen wir von einer Wohnung in unser Haus. Den ganzen Umzugsstress und tagsüber allein mit einem Kleinkind zu sein, schaffe ich einigermaßen, aber es ist doch deutlich anstrengender als in der ersten Schwangerschaft. Direkt nach dem Umzug fliegt mein Mann für zwei Wochen nach Kalifornien und ich ziehe mit Emilian zu meinen Eltern.
Ich suche in unserer neuen Wohngegend nach einem Frauenarzt und finde einen, der mit seiner Frau, einer Hebamme, eine Gemeinschaftspraxis hat. Perfekt, denke ich. In Gesprächen lerne ich die beiden nacheinander kennen und stelle fest, dass sie frisch geschieden sind. Mittendrin in dieser Situation fühle ich mich als Patientin sehr komisch, aber ich denke mir, dass es ja auch anderen Patientinnen so gehen muss und gewöhne mich an diesen Zustand. Noch heute ist er mein Frauenarzt und auch mit der Hebamme habe ich noch Kontakt.
Der Frauenarzt ist ein älterer Herr mit trockenem Humor und weil ich hochschwanger bin, finde ich es nicht so komisch, wie ich gedacht hätte, mich von ihm untersuchen zu lassen. Er stellt nüchtern, ohne Panik zu verbreiten, fest, dass mein Gebärmutterhals verkürzt ist und sagt mir so locker 6 Wochen vor der Geburt, dass es eigentlich jederzeit losgehen könnte.
Mit dem Hintergrund, dass ich mit einem sehr anhänglichen Kleinkind die meiste Zeit allein bin, mein Mann weit weg ist und ich wieder mit einer schnellen Geburt rechne, ist diese Nachricht stressig für mich und die nächsten Wochen bestehen eigentlich nur aus möglichen Szenarien und “Was wäre, wenn…” Gedanken. Wir legen Handtücher und Tüten ins Auto, für den Fall, dass es losgeht.
Ich habe immer wieder kleine Übungswehen. Ende Februar habe ich eines Nachts das Gefühl, dass es losgeht und wir fahren ins Krankenhaus, aber es ist falscher Alarm. Ich schaffe es tatsächlich bis in den März, aber ich sitze abends oft erschöpft am Bett und zähle die Wehenabstände.
Am Abend des 14. März spüre ich ab 21:30 Uhr ein bißchen Wehen, aber ich mache mir keine Gedanken, weil ich oft abends Bauch- oder Rückenschmerzen hatte. Aber diesmal sind die Schmerzen eher in den Oberschenkeln.. das kommt mir komisch vor.
Ich lege mich ins Bett und spüre in mich hinein, die Wehen kommen irgendwie schon regelmäßig, alle 10 oder 20 Minuten. Ich setze mich im Badezimmer auf den Badewannenrand und warte und zähle und stelle fest: Das ist echt. Das Ziehen bleibt aber fast ausschließlich in den Oberschenkeln. Das macht das Atmen leichter, aber laufen kann ich kaum.
Gegen 1:00 Uhr wecke ich meinen Mann. Er ist schnell wach und, wie bei der ersten Geburt gut gelaunt und sofort bereit, ins Krankenhaus zu fahren. Wir ziehen uns langsam an, nehmen die Tasche und rufen gegen 2:00 Uhr meine Schwiegereltern an. Ich laufe langsam und wenn eine Wehe kommt, drücke ich mit beiden Händen auf meine Oberschenkel. Das hilft gut, aber ich habe von diesen Wehen noch nie vorher gehört.
Bevor die Schwiegereltern da sind, fahren wir los, denn ich möchte nicht, dass sie mich so sehen.. dass mich irgendjemand so sieht. Ausserdem kann ich gar nicht einschätzen, wie weit ich bin, weil die Wehen sich so anders anfühlen. Und ich möchte lieber keine Zeit verlieren.
Mir geht es viel besser, als bei der ersten Geburt. Ich bin klar im Kopf, kann mich mit meinem Mann unterhalten und Witze machen. Im Auto hocke ich irgendwie vorn auf der Sitzkante, um die Wehen auszuhalten.
Mein Mann sagt zum Pförtner im Krankenhaus: “Wir wollen mal gucken, ob wir heute ein Kind bekommen.” und er lässt uns rein. Die lockere und entspannte Art von meinem Mann beruhigt mich sehr.
Wir sitzen unten am Fahrstuhl und sollen warten, bis wir abgeholt werden. Aber es kommt niemand. Wir machen Witze darüber, ich rege mich auf, dass man uns hier einfach vergisst. Weil wir ja von dem einen Fehlalarm den Weg kennen, entscheiden wir uns irgendwann, einfach selbst hoch zu gehen.
Weil uns beim ersten Kind die Beleghebamme im Krankenhaus angemeldet hatte, wussten wir nicht, dass wir uns hätten anmelden müssen. Wir haben uns also nicht angemeldet und man ist erst etwas verwundert über uns, vor allem, weil wir da ganz alleine ankommen – aber wir dürfen bleiben.
Um 2:30 Uhr kommen wir oben im Kreißsaal an. Es ist ruhig.
Trotz der Schmerzen und der Angst vor der Geburt bin ich diesmal völlig bei mir, rede mit meinem Mann, laufe zwischen ihm und der Hebamme den Gang entlang und halte an, um auf meine Beine zu drücken und zu atmen, wenn eine Wehe kommt.
Ich werde kurz untersucht. Der Muttermund ist schon 6 cm offen. Und die Hebamme ahnt, dass es schnell gehen wird. Ich betrete das Zimmer und stelle mich an das hochgeklappte Kopfteil des Bettes, das längs vor mir steht. Ich bleibe einfach da stehen und drücke auf meine Oberschenkel. In den Pausen beuge ich mich über das Bett und ruhe aus. Liegen kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Die Hebamme bindet mir einfach so die CTG Bänder um und ich darf stehen bleiben. Es ist 2:50 Uhr. Ich schaue auf die Uhr und erinnere mich, dass mein großer Sohn um 03:03 Uhr geboren wurde. Ich denke: „Um die Uhrzeit würde ich es auch gern geschafft haben..“
Mein Mann sitzt neben mir auf einem Gymnastikball und wippt. Er bringt mir immer wieder einen kalten Lappen und redet mir gut zu. Die Hebamme steht ruhig in einer Ecke, sie muss wahrscheinlich Schreibkram erledigen, den wir vorher hätten erledigen sollen. Aber sie ist da und lässt uns beide machen.
Dann platzt 2 Minuten später die Fruchtblase. Ich bin noch völlig bekleidet. Das ist ein komisches Gefühl und ich bin froh, dass ich jetzt nicht im Auto oder beim Einkaufen bin. Die beiden helfen mir, Schuhe und Hose und Unterhose auszuziehen. Der Muttermund ist vollständig geöffnet. Kurz darauf merke ich, dass ich mit dem Pressen anfangen möchte. Die Hebamme legt Tücher und Decken unter mir aus, vielleicht hat sie ab und zu gefragt, ob ich doch lieber ins Bett möchte, aber ich darf stehen bleiben.
Die erste richtige Presswehe kommt. Das Köpfchen ist zu sehen und die Hebamme informiert die Ärztin. Sie sagt, ich soll langsam machen, aber ich habe keine Lust, zu warten und presse das Baby aus mir heraus.
Um 3:10 Uhr ist unser Sohn da.
Ich darf ihn nehmen und mich einfach vor das Bett auf den Boden fallen lassen. Mein Baby ist so warm und weich!
Nach der ersten Geburt, die mich so überrumpelt hat, habe ich mir schlimme Vorstellungen gemacht und ich bin überrascht, wie schnell und einfach das jetzt ging.
Meine Beine zittern nach der ganzen Anspannung. 10 Minuten nach der Geburt kommt die Plazenta. So lange darf ich da unten auf dem Boden liegen. Mein Mann bekommt das Baby, damit ich mich ins Bett legen kann.
Das Baby kommt wieder zu mir und ich lege ihn an die Brust. Die Ärztin untersucht mich. Der Damm ist intakt, sie möchte aber einen kleinen Riss oder Schürfung nähen. Ich erinnere mich an das Nähen nach der ersten Geburt und jammere ängstlich, diesmal bitte nicht genäht zu werden. Überraschenderweise ist die Ärztin einverstanden. Ich solle in den nächsten Tagen viel mit gekreuzten Beinen sitzen und dann wäre das okay.
Ich möchte gern wieder gleich nachhause. Die Versuche, aufzustehen, klappen aber nicht. Ich habe viel Blut verloren und kann nicht stehen. Mein Mann fährt nachhause, ich bleibe übernacht im Krankenhaus und werde in meinem Bett aufs Zimmer geschoben. Die Nachwehen beim Stillen sind schrecklich und auch wenn mein Baby oder das meiner Zimmernachbarin weint, zieht es im Bauch.
Als Zweitgebärende werde ich eigentlich in Ruhe gelassen, aber ich schlafe schlecht und möchte einfach nur nachhause. Am Morgen kommt meine Schwägerin mit einem großen Blumenstrauß vorbei.
Mehrmals probiere ich am nächsten Vormittag aufzustehen und zur Toilette zu gehen. Mir wird schwarz vor Augen und ich lege mich wieder ins Bett. Eine Schwester wischt meine Bein ab, weil ich nach der Geburt im Stehen und mit so viel Blutverlust gruselig aussehe.
Erst gegen 11:00 Uhr kann ich ein paar Schritte gehen und werde von meinem Mann und dem großen Sohn abgeholt. Durch den Sonnenschein und mit dem Blumenstrauß in der Hand laufe ich zum Auto und fühle mich stark und glücklich.
15. März 2012
03:10 Uhr
3090 g
51 cm