27. Januar 2021
Eigentlich bin ich entspannt. Immer. Wird schon alles gut gehen. Alles hat einen Plan. Und einen Sinn. Und eine Zeit. Und ich nehme das Leben aus Gottes Hand.
Das ist jetzt auch so.. manchmal frage ich mich doch, was diese Monate jetzt mit meinen Kindern machen. Nicht aus Sorge.. eher aus Interesse: Wie wird es sein?
Ein großer Teil Schule fehlt. Freunde. Familie. Soziales Leben. Bewegung. Abwechslung. Stimmung.
Natürlich ist es immer das, was wir draus machen. Und ich habe gar nichts gegen Familie all day long einzuwenden. Aber das, was wir jetzt erleben, ist nicht selbstgewählt. Und für meinen Sohn, der gerade 4 Jahre alt geworden ist, betrifft das schon eine lange Zeit seines Lebens.
Ich persönlich merke:
Ich will mich davon lösen, auf das „Fehlen“ zu gucken.
Was heißt: „Schule fehlt“?
Was heißt: „Bewegung fehlt“?
Vielen Kindern auf der Welt „fehlt“ das immer, grundsätzlich.
Ich bin kein Freund von Noten, vom Schubladen-Denken und von Lernen nach einem Plan, den es schon hundert Jahre gab und der schon hundert Jahre die Kinder nicht abgeholt hat.
Und ich kann viel mitbestimmen, wie ich und wir diese Zeit wahrnehmen. Ist es eine „verlorene Zeit“? Fehlen uns die Monate? „Damals, da konnte ich das nicht machen, weil da war Corona.“ Soll das eine Ausrede für all diese Monate werden?
Oder ist es eine Zeit, die eben anders ist. Neu. Wo wir neu überdenken, wie wir unsere Tage verbringen, wie wir unser Geld ausgeben, wie wir uns mit unseren Freunden unterhalten, wie wir lernen und wo wir uns bewegen?
Irgendwie hängen meine Kinder schon im so genannten Schul-Stoff hinterher. Die Schreibschrift fehlt dem Drittklässler. Der Umgang mit der französischen Sprache fehlt dem Fünftklässler. Wer weiß, was sie alles hätten lernen sollen. Die Zeit-Struktur fehlt. Die Klassen-Gemeinschaft fehlt. Der Schulweg fehlt.
Wir könnten mehr Druck und Disziplin fordern. Aber so geht es gerade tausenden Schülern und ich werde meine Kinder nicht auf den Mangel beschränken – und auf die Noten, die es demnächst gibt. Sagt das nicht meinen Kindern: Ganz ehrlich denke ich nämlich, dass weder die Schreibschrift, die Noten aus der Grundschule, eine geordnete Hefter-Führung noch das schriftliche Dividieren später irgendjemand groß interessieren wird. Um Beispiele zu nennen.
Der Große beschäftigt sich mit dem Atlas und lernt die Welt kennen. Das kann er jetzt in seinem eigenen Tempo. Er lernt etwas über die Haut, macht Wahrnehmungstest und fühlt Blindenschrift. Der Mittlere beschäftigt sich mit dem Glück. Wo findet man Glück? Wie lange hält das Gefühl? Woher kommen Glücksbringer? Und er hält einen Vortrag über ein Tier und beschäftigt sich mit Gliederung, Quellen und Steckbriefen.
Ich finde es interessant, welche unterschiedlichen Ideen ins Haus oder aus dem Drucker flattern, welche Gedanken die Lehrer vorgeben oder weitergeben und wie die Kinder das aufnehmen.
Es gibt neben dem Schulstoff viele Dinge, die meine Kinder jetzt bewusst oder unbewusst lernen. Vielleicht früh oder spät für ihr Alter. Vielleicht hätten sie es auch so gelernt. Aber das sind die Dinge, die ich in diesen Zeiten bewundere und wertschätze:
+ Einen Zeitplan erstellen
Wann muss ich mich für meine Telefon-Konferenz bereit machen? Was muss ich vorher erledigen? Wie viel Zeit habe ich für diese Aufgabe? Wie organisiere ich, rechtzeitig fertig zu sein?
+ Das Lernen lernen
Wo finde ich Informationen, die ich brauche? Wie kann ich im Internet suchen? Wie kann ich Texte bearbeiten? Wen kann ich fragen, wenn ich Hilfe brauche? Wie organisiere ich meinen Schreibtisch? Wie passe ich auf meine Unterlagen auf? Wie kann mir am besten Dinge merken? Mit welchen Hilfsmitteln kann ich gut arbeiten?
+ Den Haushalt kennenlernen
Wie räume ich eine Spülmaschine ein und aus? Wie geht Wäsche waschen? Welche Zutaten brauche ich für eine Mahlzeit? Wie viel Geld brauche ich für meinen Einkaufszettel? Wie räume ich meine Kleidung in den Schrank?
+ Essen zubereiten
Auf was muss ich achten, wenn ich backe? Wie sieht die Küche aus, wenn ich mit dem Backen fertig bin? Was kann ich von Papa in der Küche lernen? Was kann ich von Mama in der Küche lernen? Wie schmeckt das Essen am besten? Was ist die Hälfte von 250g Butter? Was passiert, wenn ich eine Zutat vergesse?
+ Familienleben
Wie kann ich mit den Geschwistern einen Streit schlichten? Wie können wir gemeinsam aufräumen? Können wir uns auf ein Spiel/einen Film einigen? Wie können wir zusammen gute Entscheidungen treffen? Welche Regeln brauche ich? Welche Regeln brauchen meine Geschwister?
+ Charakter
Was kann ich machen, wenn mir langweilig ist? Wie gehen meine Eltern mit Sorge, Angst, Ungeduld um? Wie können wir diese Zeit zusammen gut überstehen? Wie kann ich doofe Zeiten aushalten? Wie kann ich für mich/für uns den Tag besser machen? Was lerne ich gerade?
+ Wohngegend
Welche Straßen in meiner Wohnnähe kenne ich noch gar nicht? (Bei uns beliebt: Münze werfen. Kopf: links. Zahl: rechts. Und einfach loslaufen.) Wie weit schaffe ich zu wandern? Welche tollen neuen Plätze kann ich mit dem Fahrrad oder wir mit dem Auto erreichen? Gibt es Geocaches (Werbelink) oder Ausflugsziele, die ich noch gar nicht kenne?
+ Kreativität
Was macht mir wirklich Spaß? Wobei vergesse ich die Zeit (und darf das jetzt mal)? Was möchte ich unbedingt lernen? (Vielleicht eine andere Sprache?) Werbelink Was kann ich richtig gut? Kann ich etwas ganz Neues ausprobieren?
(Danke an alle, die bei der Umfrage dazu auf Instagram teilgenommen haben!)
Das sind kleine und große Dinge, die Kinder kennen und vielleicht längst gelernt haben. Aber ich merke, im „früher normalen“ Tagesablauf war eben nicht so viel Platz für Haushalt oder Geschwister.. da wollen jetzt ganze Wochen „Geschwister-Power“ überdacht werden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass ein guter Charakter wichtiger ist, als die Handschrift. Dass ein Mann, der kochen und putzen kann, nicht wissen muss, wie die Hauptstädte Europas heißen. Und dass Humor, Resilienz, Respekt und Verantwortungsbewusstsein mehr zählen, als ein toller Abschluss und ein gutes Gehalt.
Wir haben drei Söhne.. was kann es ihnen schaden, wenn sie früh lernen, dem kleinen Bruder Socken anzuziehen, Eier im Topf aufzuschlagen oder eine Waschmaschine anzuschalten? Für einige Tätigkeiten musste tatsächlich erst ein Lockdown kommen..