Liam und die Kinderbetreuung

In dieser Woche starteten und starten die neuen Termine, von denen ich euch erzählt habe.
Donnerstag, Freitag und Samstag.
Ich schrieb, dass es für Emilian leicht ist, in die Kinderbetreuung zu gehen. Und ich schrieb, dass es für Liam nicht ganz so einfach ist, bzw. noch nie geklappt hat.

Bis jetzt war es für uns kein Problem, Liam eben bei uns zu behalten.
Aber für diese neuen Termine ist es notwendig und ich denke, er ist erstens alt genug und kennt sich zweitens inzwischen gut hier aus. Ja, er ist klein und ja, er spricht nichtmal deutsch, erst Recht nicht englisch. Aber ich habe es ihm zugetraut. Emilian war ein sensibles und zartes Kind – selbst jetzt, mit 4 1/2 – überrascht es mich, dass er zur Kinderbetreuung geht. Liam ist da anders. Dachte ich.

Im Laufe der Woche dachte ich viel über diese Kinderbetreuung nach. Die Betreuer waren sehr entgegenkommend, verstanden unsere Ausnahmesituation und ermutigten mich viel. (Wenn dann allerdings eine SMS kommt: „You are such a good mom and a strong spiritual leader“, dann frage ich mich wieder… nein. Sie hat es sicher ernst gemeint.)
Liam war nicht gut auf die Kinderbetreuung zu sprechen. Und ich fragte mich wirklich, ob wir ihn in den Raum stecken und ein-, zwei-, dreimal weinen lassen sollten – oder ob er wirklich Angst hat und da nicht sein möchte. Mit 2 1/2 ist Emilian (und mir!) das Loslassen noch sehr schwer gefallen. Und Liam konnte bis jetzt überall mit seinem großen Bruder hingehen. Meine erste Reaktion wäre gewesen: Ich sage meine Termine ab und bleibe mit Liam in der Kinderbetreuung – oder gleich zuhause. Aber das ging diesmal nicht. Ich wollte es nicht. Ich traute es Liam zu. Und ich wollte, dass wir alle hier mehr einsteigen, regelmäßige Termine haben und neue Menschen kennenlernen.

Die Betreuerin für den Freitags-Termin hatten wir ja kennengelernt. Trotz – oder gerade wegen – ihrer „Liebe versteht alle Sprachen“-Regel vertraute ich ihr. Immerhin verstand sie unser Problem und hatte eine Lösung. Sie sagte nicht: „Ach, dann lass‘ ihn einfach zuhause.“ Das mochte ich. Schließlich brauchte ich auch diesen kleinen Schubs. Ja, wirklich. Ich war mir zwar nicht sicher, an welchem Punkt sie mich (wenn überhaupt) zu Liam holen würde.. aber das wollte ich noch mit ihr besprechen.

Dann ging es um den Termin für donnerstags. Ich wusste, dass ich in meiner rooted-Gruppe die einzige Mama war, die Kinder abzugeben hatte. Also fragte ich, wo und wann die Kinder am Donnerstag betreut werden. Ich bat nochmal darum, beide Kinder in einer Gruppe zu betreuen. Dabei hatte ich aber vergessen, dass sich donnerstags auch MOPS-Mamas trafen. Und so werden meine beiden Söhne an jedem Donnerstag und an jedem Freitag gleiche Betreuer in gleichen Räumen haben. Getrennt. Aber immerhin.

Wir bereiteten Liam darauf vor. Auch für mich war das wichtig.
Mindestens einmal pro Stunde sagte ich sowas wie: „Liam geht zur Kinderbetreuung! Du bist jetzt mein Großer! Du hast eine eigene Tasche! Mama packt dir Schokolade ein! Wenn ich dich wieder abhole, sagst du ‚Bye Bye‘ zu der Frau und dann gehen wir zusammen Eis essen!“
Sowas eben. Viel Bestätigung, viel Beigeisterung. Mut. Freude. Ermutigung.

Am Anfang wurde er ganz traurig und seine Lippen zitterten, wenn ich sowas sagte. Aber ich wiederholte es. Vorsichtiger. Mit mehr Sicherheit. „Mama holt dich ab! Mama und Papa sind arbeiten. Aber wir sind alle da!“ Dann wurde seine Reaktion trotzig. Er sagte: „Nein!!“ und stampfte mit dem Fuss auf den Boden. Da half dann die Belohnung mit dem Eis… Irgendwann wurde er mutiger trotzig. „Nein, nein und nochmal nein!“ (Das hat er sich von Findus abgehört…) Er war bockig und zeigte seine Meinung deutlich, aber es war weniger Angst, mehr Austesten in seiner Stimme. Am Tag davor lachte er mich dann an und sagte: „Nein, nein, ha ha!“ Und dann wusste ich, dass er es verstanden hatte. Nun würde er nicht mehr sagen können: Er hätte nichts gewusst. Er war besser drauf, trug mit Stolz seine Tasche umher, erzählte, dass er ein Bild mit einem Haus und einem Flugzeug für mich malen würde und freute sich auf die Schokolade in der Tasche und auf das Belohnungs-Eis.

Zusammen packten wir die Taschen, beteten am Abend für Mut und Freude.
Am Morgen setzten wir uns ins Auto und fuhren zur Kirche.
Beide Jungs zogen fröhlich mit ihren Taschen los und das half auch mir. Wir meldeten uns an, bekamen die Namensaufkleber. Und dann wurde es real für Liam. Zu real. Er wollte nicht mehr weiterlaufen und wurde ängstlicher. Wir gingen erst zu Emilians Raum. Die beiden Betreuerinnen freuten sich sehr, ihn zu sehen und erzählten mir, wie gut Emilian am letzten Freitag mitgemacht hatte. Er wollte erst nicht in den Raum, weil er lieber im „Hai-Raum“ statt im „Schildkröten-Raum“ sein wollte… ich fürchtete um Liams Mut, aber Emilian verabschiedete sich und ich ging mit Liam weiter. Weil ich spät dran war und um meinen und Liams Mut fürchtete, schrieb ich meinem Mann und er kam schnell. Ich verabschiedete mich, Liam winkte gut gelaunt zurück.

Als ich in meinem Raum angekommen war und einen Kaffee an meinem Platz hatte, schrieb ich meinem Mann. Die Antwort: „Liam sitzt bei mir im Büro.“

Ich konnte und wollte mir nicht viele Gedanken darüber machen, musste auch mein Handy weglegen – aber als die Leiterin nach unserem Höhepunkt und Tiefpunkt der letzten Woche fragte, erzählte ich davon. Die anderen Mütter, die gerade alle ihr „Mein Kind zieht fürs College zum ersten Mal aus“-Leid teilten, konnten mich gut verstehen und sagten, dass es nur die ersten 20 Jahre schwer sei, ein Kind ziehen zu lassen… Danke.

Als mein Treffen vorbei war, beeilte ich mich, Liam zu sehen.
Gut gelaunt kam er mir mit seiner Tasche entgegengeschlendert, am Mund klebten Schokoladenreste und er umarmte mich. „Warst du bei der Kinderbetreuung, Liam?“ – „Nein, nein.“
Mein Mann erzählte mir, dass Liam sich am Morgen schon auf dem Flur, vor der Tür seines Raumes, auf den Boden geworfen und geweint hatte. Er sagte, er hätte es versuchen sollen, konnte es aber nicht. Ich weiß nicht, ob ich es geschafft hätte? Liam darf jetzt nicht weiter denken, es gäbe noch eine Alternative. Morgen, am Freitag, ist mein Mann vormittags nicht da und Liam wird da bleiben müssen. Wir werden sehen!

Wir holten Emilian ab. Seine Betreuerin erzählte mir ganz glücklich, dass sie eine App entdeckt hätte, mit der sie englische Sätze ins deutsche übersetzen konnte und sie sogar in deutsch abspielen konnte. So hatte sie mit Emilian „geredet“! Wie cool ist das denn! Sie hätte ihm so gesagt, dass er für morgen feste Schuhe braucht und dass er ihr mal in englisch die Farben seiner Kleidung sagen sollte. Und er hat’s gemacht. Ich war sehr stolz und glücklich. Als ich Emilian fragte, was denn das Handy auf deutsch gesagt hat, sagte er: „Sie haben einen guten Job gemacht!“
Das ist die Übersetzung von „Good job“ und da sagt hier jeder zu jedem als Lob.
„Sie haben einen guten Job gemacht!“

Beim Rausgehen trafen wir die Betreuerin von Liam. Das war gut!
Penelope ist ihr Name. Sie sah uns von weitem und rief: „Ah, ist das Liam?“ Sie hatte ihn am Morgen ja nicht gesehen, weil Liam nicht im Raum aufgetaucht war. Weil wir aber angemeldet waren, wusste sie, dass er da sein hätte müssen. Oder so. Sie sah Liam ganz freundlich an und sagte zu mir: „Sagen Sie ihm, dass ich ihn lieb habe und morgen auf ihn warte. Sagen Sie ihm meinen Namen. Er wird mich verstehen, weil ich ihn lieb habe, verstehen Sie?“
Ja ja.. Ich übersetzte für Liam, er sah sie ausdruckslos an. Sie erzählte weiter, dass Liam morgen bei ihr im Raum bleiben würde und ich sagte, dass er das muss, weil wir Eltern beide keine Zeit hätten. (Was bin ich für eine Mutter?) Sie ermutigte mich und klang sehr zuversichtlich. Plötzlich holte Liam sein Kuscheltuch aus seiner Tasche und zeigte es ihr. Dann winkte er ihr und rief: „Bye bye.“

Jetzt sitze ich ihr, packe wieder zwei Kinder-Taschen und bin gespannt. Ich weiß nicht, was morgen passieren wird. Mein Mann wird nicht da sein, ich werde erst Emilian abgeben und dann zu Liams Raum gehen. Ich hoffe, ich werde Zeit haben, um mit ihm in den Raum zu gehen und ihn in Ruhe abzugeben. Ich hoffe, er wird nicht zu sehr weinen. Ich weiß nicht, was dann mit mir passiert. Aber eigentlich weiß ich, dass sein Weinen ein Versuch sein könnte, doch nicht abgegeben werden zu müssen. Dass er aber in Wirklichkeit weiß, dass es soweit ist. Ich hoffe, dass es ihm nichts ausmacht, auf dem Schoß einer fast-fremden Frau zu sitzen und von einer fast-fremden Frau getröstet zu werden. Er wird seinen Nuckel ausnahmsweise mitnehmen dürfen. Normalerweise gebe ich meine Kinder nicht bei fast-fremden Leuten, wenn sie das nicht möchten. Ich kann nicht glauben, dass ich Emilian Sonntag für Sonntag bei Leuten lasse, dich ich nie zuvor gesehen habe. Ich bin eigentlich keine Mutter, die ihre Kinder ins kalte Wasser schmeißt. Ins lauwarme. Solche Gedanken mache ich mir jetzt…
Ich weiß nicht, ob ich mein Frauen-Treffen genießen kann oder ob mein Pieper piepst und mich zu Liam ruft. Ich bin sehr gespannt. Vielleicht gehen wir morgen zusammen Eis essen!

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