20. Juli 2023
Als wir Kalifornien im März 2015 verlassen haben, wussten wir, dass wir unbedingt zurück kommen wollten. Ihr kennt die Umstände. 3030 Tage später war es so weit.
Wir wussten, dass es uns einiges kosten würde, zu fünft in den Sommerferien nach Amerika zu reisen. Geld. Zeit. Nerven. Aber dass die Hinreise uns schon fast alles abverlangen würde, hätten wir nicht gedacht…
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Weil die Flüge von Kopenhagen viel weniger kosten und Freunde von uns gerade nach Kopenhagen gezogen sind, geht unsere Reise zuerst mit der Fähre von Rostock nach dort. Das war Montag früh, deutscher Zeit.
Der Tag in Kopenhagen, der Weg am Dienstag zum Flughafen mit 5 Koffern in einer coolen MetroBahn ist toll, das Einchecken mit 5 Personen und 10 Gepäckstücken klappt wunderbar. Da haben wir schon zwei Nächte nicht mehr zuhause geschlafen.
Es wird ein ruhiger Flug nach New York mit gutem Essen und unendlich vielen Filmen. Die Jungs üben erste englische Wörter. Ginger Ale können sie offensichtlich schon bestellen. Die Stewardess kennt sie bald und bringt das Getränk schon fast automatisch. Ich sitze mit dem Kleinen, der Papa etwas weiter hinten mit den beiden Großen. Schlaf ist nicht viel, wir sind aufgeregt und es ist eng. Den Schlaf wollen wir uns für den zweiten, etwas kürzeren Flug aufheben. Ich fange an, mein 500 Seiten Buch zu lesen. „Der Gesang der Flusskrebse“.
Nach 10 Stunden tut der Rücken weh, die Luft wird unangenehm und die Vorfreude steigt.
Die Kinder verfolgen den Flug auf dem Display und merken schon, dass das Flugzeug in der Luft Kreise zieht. Gewitter und Regen am Zwischen-Flughafen, heißt es. Oder „Lufthafen“, wie es in einigen anderen Sprachen heißt. Wir kreisen erst ein paar Runden unsicher in der Luft und landen dann aber doch nicht in New York, sondern in Boston. Es gibt viele Durchsagen. Keiner weiß was genaues. Einige stehen schon bereit, andere bleiben sitzen. Ein Steward verteilt kleine Delta-Anstecker an die Kinder.
Die Stimmung ist gut, der Kleine schläft jetzt tief und fest. Schon stehen wir am Platz, die Taschen gepackt, da sagt der Pilot, dass er uns doch lieber nach New York fliegen würde. Der Umstand, alle von Boston weiterzuleiten, wäre zu groß. Es wird nachgetankt und dann dauert es. Sehr lange.
Immerhin haben wir den Jüngsten nicht geweckt. Es dauert noch viel länger und wir sind uns sicher dass unser Anschluss-Flug nach Los Angeles trotz mehrerer Stunden Aufenthalt weg ist…
Mit den Uhrzeiten kommen wir komplett durcheinander. In Deutschland ist es tief in der Nacht. Hier ist es Abend. In Kalifornien vielleicht Nachmittag. Wir sind sehr müde. Es ist kalt im New Yorker Flughafen. Wird es uns wirklich so schwer gemacht, nach Kalifornien zu kommen?
Im Flughafen haben wir wenigstens Internet. Mein Vater schickt diesen Artikel: https://www.entrepreneur.com/business-news/thousands-of-cancelations-at-nyc-area-airports-due-to/455956 In der Einreise-Schlange stehen wir ewig. Das Einchecken nach Amerika ist für uns Eltern der Punkt mit der meisten Spannung, weil wir da eben entweder rein dürfen oder nicht. Es geht unglaublich langsam vorwärts. Ich schleiche mich irgendwann aus der Schlange raus, um mit dem Kleinen aufs Klo zu gehen. Als wir wiederkommen, sind die anderen kaum vorwärts gekommen.
Irgendwann sieht uns eine Angestellte und lässt uns und andere Familien mit kleinen Kindern vor. DANKE! Wir dürfen schon an den Schalter und überspringen richtig, richtig viele Menschen. Wir sind gleich dran und wir dürfen einreisen! Sicherheits-Check. Schuhe aus. Jacke aus. Koffer raus. Das geht schnell und außer einer Creme, die ich in meiner Handtasche vergessen habe gibt es keine Probleme. Die Kinder machen alles richtig gut mit.
Überall sind Menschen und lange Schlangen. Müde Familien. Die Hoffnung auf einen nächsten Weiterflug sinkt, es kommt eine Unterkunft zur Sprache. Nein! Ich will nicht in New York ins Hotel!! Ich möchte nach Kalifornien. Seit über 3000 Tagen warte ich darauf! Ich fühle mich nicht wohl in meiner Kleidung und freu mich jetzt schon auf die Dusche.
Der Mann steht lange in der Schlange zum Umbuchen, der Jüngste hüpft fröhlich umher. Er ist wirklich so entspannt. Der Mittlere schlendert und guckt sich alles an. Ihm tun noch immer die Ohren von der Landung weh. Der Große ist müde und traurig und ich friere, habe Halsschmerzen und versuche wirklich, nicht zu wütend zu sein. Ein junger Mann neben uns fragt, ob wir kurz auf seinen Koffer aufpassen würden. Er müsste was erledigen. Sure, sage ich, kein Problem. Als er weg ist, fällt mir auf, dass ich gar nicht weiß, wann er wiederkommt und wie lange wir hier noch sitzen. Dann schaue ich seinen Koffer an. Es ist ein riesiges schwarzes Plastik-Teil.. keine Ahnung, was da drin sein könnte. Jetzt sitzen wir neben diesem großen auffälligen Teil auf einem amerikanischen Flughafen, der Typ ist weg, mein Mann ist weg. Egal, denke ich. Ich kann jetzt nicht darüber nachdenken. Nach langer Zeit kommt er tatsächlich wieder, bedankt sich und geht dann mit seinem Zeug weg.
Die Kinder verfolgen, wie Papa in der Schlange nach vorne rutscht. Ich schreibe das hier so auf, aber es hat mehrere Stunden gedauert. Und wir saßen auf dem kalten Fußboden. Wir packen ein paar Snacks aus und haben immerhin immer Wasser. Am Ende wird es kein Weiterflug und keine Unterkunft. Wir haben 10 Stunden Wartezeit bis zum nächsten Flug! Auf dem Flughafen! In der Nacht! Alle Betten und Kammern sind längst ausgebucht. Wir sind ein bisschen schockiert über diese Nachricht und müssen erstmal schlucken.
Hier ist es hell und kalt und laut. Kein Wlan. Aber überall liegen Menschen unterschiedlicher Herkunft in den merkwürdigsten Positionen – und schlafen einfach. Also ist das jetzt auch unser Schicksal. 10 Stunden!
Der Mann leitet uns tapfer an. Wir holen unsere großen Koffer ab. Es fließen ein paar Tränen. Wir laufen, um einen möglichst dunklen, warmen Ort zu finden. Der Kleine hat scheinbar im Flugzeug wirklich gut geschlafen und singt und hopst und hilft den Großen tragen und ihm geht’s wirklich gut.
Die Luft in New York ist warm und drückend, aber es ist zu laut draußen. Inzwischen hat nicht nur in Berlin, sondern auch hier ein neuer Tag angefangen. Wir suchen uns einen Platz – wir nehmen einfach irgendeinen und schlafen auf dem Boden, neben Mülleimern und auf unseren Handtüchern. Es ist doch nicht wahr! Ich friere. Kein Wlan. Kein Kaffee. Keine Bank. Keine Decken.
Die beiden Großen schlafen schnell ein. Sie sind so erschöpft. Ich habe wirklich Sorge, eine Blasenentzündung zu bekommen und kann mich nicht richtig entspannen. Mein Hals tut weh, meine Nase ist zu. Der Mann geht mit dem Kleinen spazieren. Eine Durchsage sagt, dass der Feueralarm im Gebäude getestet wird. Ja, das ist laut. Was auch immer. Es ist wie ein schlechter Film und Kalifornien scheint so weit weg! Ich bin wütend. Ich denke ärgerlich daran, dass mir diese Zeit nun von meinem kostbaren Urlaub fehlt! Ein Gewitter… Es lag nicht in unserer Hand.
Als ich irgendwann wach werde, muss ich aufs Klo. Der Mann darf sich jetzt ausruhen und der Kleine zeigt mir das Klo. Ich bin ja fasziniert. Er ist 6 Jahre alt und führt mich über mehrere Etagen, Rolltreppen und Fahrstühle mitten auf einem Flughafen in New York zum Klo. Es ist Nacht und die Läden haben zu. Wirklich überall liegen Menschen und schlafen. Wenn ich Zeit und Kraft hätte, würde ich sie gern nach ihren Geschichten fragen.
Immer wieder muss ich an Flüchtlingsfamilien denken. Ich kann einfach nicht anders. Und dann halte ich meine Klappe und spreche ein Gebet für eine gute Reise. Denn wir hatten ja Zeit, unser Zeug zu packen. Wir haben ein Wunsch-Ziel. Wir dürfen zurück nachhause. Wir wissen, wo die Reise hingeht. In aller Wut und allem Schmerz und aller Erschöpfung denke ich daran, wie es diesen Menschen, Familien, Müttern wohl gegangen sein muss… Es ist krass, das ein bißchen zu fühlen. Und ich möchte nicht undankbar sein. Aber ja, wir sind alle an unseren Grenzen.
Irgendwann gegen 4.00 Uhr New Yorker Zeit ist es möglich, unser großes Gepäck wieder aufzugeben. Wir nehmen jeweils den frühstmöglichen Zeitpunkt für alles, das bringt uns kleine Schritte vorwärts. Ich fühle mich so eklig und stinkig. Wir packen unser Zeug zusammen und warten weiter, bis wir einchecken können. Die Schlangen sind lang, aber okay. Wir haben keine Kraft mehr, uns über irgendwas aufzuregen. Nach dem Check-in haben wir immernoch ungefähr 4 Stunden Wartezeit. Wir sitzen jetzt auf Stühlen! Stühle sind so toll!
Es gibt manchmal Internet, es gibt Strom, die Kinder dürfen am Handy spielen und haben die Nintendo dabei. Ich lese und schlafe. Wir essen unsere Snacks. Am Fenster sehen wir, wie die Sonne groß und rot über New York aufgeht. Keine Spuren mehr von einem Sturm.
Und dann, irgendwann.. dürfen wir endlich ins Flugzeug. Es geht weiter! Noch 5 Stunden! Wieder Filme, Schlaf und Ginger Ale. Der Mittlere hat schlimme Ohrenschmerzen. Wir verteilen Kaugummi. Der Kleine schläft gut. Ich lese. Der Große versucht sich an englischen Rätselfragen.
Zur Landung darf ich ans Fenster gehen. Ich tausche den Platz mit dem Mann. Der Mittlere weint. Die Kinder sind kaum wach zu kriegen. Sie sind so erschöpft, es ist unglaublich, wie gut sie mitmachen. Ich schaue auf mein geliebtes Kalifornien. Ich sehe das HOLLYWOOD Sign in den Bergen. Ich erkenne Orte wieder. Endlich! Das alles hab ich mir anders vorgestellt – ich habe keine Kraft mehr, aber wir sind da! Mein Buch habe ich übrigens ausgelesen.
Wir sind schnell draussen, wir stehen plötzlich genau vor unserem Fahrer, wir finden unsere Koffer schnell. Alles klappt gut. Der Mittlere weint, er ist völlig fertig. Wir treten aus dem Flughafen-Gebäude und werden von der Wärme erschlagen. Ich sehe Palmen und wollte jubeln, springen und den Boden küssen. Mach ich später.
Es ist unglaublich warm. Der Mittlere muss sich übergeben und schafft es gerade noch zu einem Blumenbeet. Der Fahrer hatte mit 2 Personen und wenig Gepäck gerechnet und so wartet am Auto eine kleine Tetris-Aufgabe auf ihn. Die Wärme erdrückt uns fast. Ich kann kaum atmen. Ich trage noch Turnschuhe und lange Hosen…
Aber im Auto ist es dann wieder kalt. Die Fahrt dauert knapp 1 1/2 Stunden, wir erinnern uns an den fürchterlichen Verkehr. Der Kleine schläft sofort ein. Hier ist es 14:00 Uhr. Wir erkennen erste Orte wieder und das fühlt sich alles so komisch und schön an. Der Mittlere weint und ich überlege, was ich mache, falls er nochmal spucken muss. Das Auto ist neu und sauber. In der Hand halte ich nur die Jacke des Großen. Und in die spuckt er dann auch.. Es ist nicht viel, sein Magen ist einfach nur total verkrampft und überfordert. Ich denke nicht mehr viel nach. Auch mir ist schlecht. Einfach nur durchhalten! Einatmen. Ausatmen. Der Mann sieht, wie müde ich bin und rät mir, wach zu bleiben. Hallo Jetlag.
Als wir von der Autobahn abfahren, werden wir richtig aufgeregt. Wir erkennen Häuser, unsere Strassen wieder, Einkaufs-Zentren und überall Palmen. Es sieht vieles aus wie vor 8 Jahren. Ist das schön! Und dann sind wir tatsächlich an unserem Häuschen, unserer Wohnung, in der wir 10 Monate gelebt haben. Der Fahrer packt aus und ist relativ schnell wieder weg. Immerhin ist das Auto sauber geblieben. Eine Mitarbeiterin aus der Kirche kommt zeitgleich mit uns an und bringt uns unser Auto.
Und dann schließen wir unsere Tür auf – wir sind zuhause! Es sieht aus, wie früher. Es riecht wie früher. Einige Möbel sind neu. Wir sind fix und fertig. Ich weiß nicht, ob wir alle als Familie jemals so hart an unseren Grenzen unterwegs waren. Jetzt ist es Mittwoch Nacht oder Donnerstag Morgen deutscher Zeit.
Ich habe Lust auf Pool und Sonnenuntergang, aber wir sind so müde. Wir packen die Koffer aus und checken die Lage im Haus. Als erstes geht der Mann duschen, dann der Mittlere, dann der Große und dann ich. Endlich. Ist das schön! Ach ja.. das Wasser kommt ja mit weniger Druck aus der Leitung..
Wir fühlen uns etwas besser, aber wir dürfen nicht einschlafen! Es ist 16:00 ungefähr. Wir setzen uns in unseren VW Jetta und fahren 3 Minuten ins Einkaufszentrum. Ja, unter anderen Umständen wären wir gelaufen. Ich trage nun kurze Hosen und FlipFlops. Es geht uns besser. Im Laden gibt es Internet und wir können kurz zuhause Bescheid sagen, dass wir angekommen sind. Jetzt ist der Kleine sehr weinerlich und anhänglich. Ich trage ihn durch die Läden. Das ist alles so verrückt, es sieht aus wie früher! Der Große erkennt vieles wieder und freut sich sehr. Der Mittlere kann sich fast an nichts erinnern, er ist einfach nur fertig. Wir kaufen die ersten Lebensmittel, frisches Obst und Gemüse, Brot, Milch, eine Filterkanne fürs Wasser und staunen alles an. Auch den Preis an der Kasse…
Ist das verrückt! Wir sind in Kalifornien!!!
Eigentlich wollte der Mann zur Feier des Tages gern mit uns ins Restaurant gehen.. aber es geht nicht mehr. Wir packen die Einkäufe aus uns die Kinder essen einen Apfel und trinken Melonensaft. Ich schmeiße alle unsere Kotz- und Reise-Kleidung in die Waschmaschine und in den Trockner. Kurze Zeit später ist sie warm und sauber. Wir versuchen uns an der Klimaanlage, aber nicht zu kalt. Alle sind leicht erkältet. Der Mittlere liegt und schläft, wir können ihn nicht mehr wecken. Also holt der Mann mit dem Kleinen schnell ein paar Burger und Pommes. Auch ich wache plötzlich auf der Couch auf und weiß gar nicht mehr, wie ich dorthin gekommen bin. Es ist einfach nur krass. Den Burger essen wir fast im Halbschlaf.
Es ist 20:00 Uhr hier. Ja, das ist eine Zeit, in der man schlafen gehen kann. Gefühlt sind wir seit Tagen wach. Schnell Zähne putzen, ein paar Decken zum Schlafen suchen, die Betten in Amerika sind auch anders. Die Jungs entfernen alle Kissen aus ihren Betten und legen sich hin und schlafen. Wir legen uns in das große, hohe Elternbett und können endlich einschlafen.
Gegen 5:00 Uhr oder 6:00 Uhr wachen wir auf, es geht uns allen viel besser. Es ist Donnerstag, glaube ich. Zum Frühstück gibt es Müsli („Mama, das schmeckt genau wie früher!“) und Kaffee und Toast und Blaubeeren. Der Mann hat sich um das Internet gekümmert und es funktioniert endlich. Ich habe unterwegs diesen Text hier angefangen und schreibe ihn weiter. Wir sind da! Es geht uns gut!
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Ich danke Dir fürs Mitlesen!
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