10. April 2021
Liebes zukünftiges Ich!
Du hast gerade deinen 36. Geburtstag gefeiert.
Hinter dir liegt ein besonderes Jahr und ich denke, du solltest dich daran erinnern. Deshalb dieser merkwürdige Brief.
Weißt du noch, wie unruhig die Zeiten waren?
(Das ist so ein Satz, den wahrscheinlich jede Generation seit hunderten von Jahren unterschreiben würde.) Aber die unruhigen Zeiten sind es nicht, die dich so genervt haben. Es war das, was sie mit dir gemacht haben. Ich sage dir: Du wirst vielleicht nicht gerne älter, aber du wirst stärker!
Vielleicht war es das turbulenteste und herausforderndste Jahr. Eine Pandemie kam über die Welt – und neben allen Naturkatastrophen, neben den großen und kleinen Schicksalen, die du dir so zu Herzen nahmst, neben Waldbränden und Verkehrsunfällen, neben Intrigen, politischen Katastrophen, Macht- und Geld-Skandalen waren es auch einfach Entscheidungen von Menschen, die dich verunsichert haben.
Menschen, die du kennst und gern hast, trafen Entscheidungen, sagten Sätze, hatten Gründe und gingen Wege, von denen du nie gedacht hättest, dass es mal so kommt. Und das tat weh, weißt du noch? Du konntest das vielleicht nicht verstehen, aber verarbeiten.
Zum ersten Mal im Leben wurde dir so richtig bewusst, was ein Gedankenkarussell in dir in Schwung bringen kann. Der erste Herbst im Lockdown (der sowieso immer deine unbeliebteste Jahreszeit ist), hat dich völlig verunsichert und deine Gedanken haben verrückt gespielt. Daraus folgte eine Reihe von Arztbesuchen und dann die Gewissheit, dass alles okay ist.. aber es hat eine Weile gedauert, bis du dich ganz davon erholt hast und wieder Herrin über deine Gedanken warst. Es erschütterte dich als happy-clappy-rosa-Optimisten-Menschen, dass es solche Zeiten gibt, dass du teilweise selbst verantwortlich warst und noch mehr erschütterte es dich, im Ansatz zu begreifen, dass es anderen Menschen ganz oft so geht. Dir wurde noch mehr bewusst, was Worte bewirken können. Im Guten und im Schlechten. Gedacht oder gesagt. Über dich oder andere. Es ist fast unheimlich, welche Macht unsere Worte haben. Unterschätze das nicht.
Diesen Satz „Was wenn alles gut geht“ sagtest du dir und anderen immer wieder und er nervte fast, wenn andere ihn plötzlich dir selbst unter die Nase rieben. Aber es stimmt: Wenn du vom Guten ausgingst, wurde es gut. Nicht gleich, nicht sofort, aber es wurde gut.
Du hast auch in diesem Jahr versucht, viel zu lächeln, in dir zu ruhen, Pausen zu machen, fröhlich und beziehungsorientiert zu sein, spontane Entscheidungen zu treffen, meist fühltest du dich in deinem Körper wohl und konntest den Tag gut gelaunt beginnen (mit Kaffee!) und dankbar beenden. In allem konntest du, auch wenn es schwer war, lernen, dass es stark ist, Schwäche zu zeigen. Es gab Freundschaften, die in diesem Jahr ganz eng wurden und es hat gut getan, endlich zu sagen: „Ich kann nicht mehr. Ich schaff‘ das nicht. Mich nervt das. Auch ich bin am Ende.“
Manchmal kam es dir selbst komisch vor, wie schnell es dir nach so einem Satz wieder besser ging. Es fiel dir immer leicht, dich über Kleinigkeiten zu freuen. Es fühlte sich zwar „nicht erwachsen“ an, auch über den 100. Sonnenuntergang zu jubeln, dir rosa Blumen hinzustellen, das Gesicht in die Sonne zu halten, wie ein Kind zu schaukeln oder einfach im Chaos „Glück im Moment“ empfinden zu können. Aber bitte bleib trotzdem so: Suche das Schöne und finde die tausend Geschenke im Alltag.
Immer wieder ploppten trotzdem unerwartete Nachrichten auf, die dich aus der Ruhe bringen wollten. Und das Jahr war ein Jahr, in dem du gelernt hast, dagegen zu kämpfen. In dem du dich nochmal bewusst für Hoffnung, Freude und das Gute entschieden hast. Das war nicht leicht. Du hast gelernt, dich abzugrenzen. Nein zu sagen. Menschen zu bremsen oder zurechtzuweisen, bei denen du dich das vorher nicht getraut hättest. Und es fühlte sich richtig an. Nicht immer gut, aber richtig. Entscheide dich dafür, das Richtige zu tun!
Schreck-Momente gab es sowieso immer schon, auch vor diesem Jahr – weißt du noch?
Die Rechnung von der Autowerkstatt. Die Nachricht von der Krankheit einer geliebten Person. Erdrückende Schlagzeilen. Überwältigende Aussichten, die auf dich einstürmten. „Das kann doch wohl nicht wahr sein“-Momente. Abgesagte Reisen und Veranstaltungen. Das Gefühl, nicht richtig atmen zu können. Das Gefühl, eine Freundin verloren zu haben. Die Nachricht, dass Freunde weit weg ziehen. Der Knoten in der Brust. Der Moment, wenn ein Auto ganz knapp vor deinem Kind bremst. Die Email mit Worten, die so weh tun. Die Einsamkeit und Überforderung, wenn der Mann dienstlich verreist. Die Sorgen-Tränen deines Kindes. Die vergeblich gebuchten teuren Flugtickets. Das Blut und die Schmerzen in der Schwangerschaft. Das Loch auf dem Konto. Das Kind in Narkose zu sehen. Der Alltag, der wie ein schwarzer Berg vor dir liegt. Das Kind, das die Treppe herunterfällt. Der schwarze Leberfleck auf der Haut. Das Kind, das zu lange für den Schulweg braucht. Die Absage, die nicht kommen sollte. Das Ergebnis eines Schnelltests. Die besorgniserregende Nachricht der Lehrerin. Die Hoffnung, die zerbricht. Der Plan, der scheitert.
Die ersten großen Planänderungen waren übrigens ein Umzug in der 4. Klasse und der Wechsel auf die Oberschule. Beides lief anders, als du es gern gehabt hättest… aber wie gut war der Weg, der dann kam!
Und auch der Weg, den du trotz finanzieller Schwierigkeiten, trotz der Trauer um Schwangerschaften, der schwierigen Beziehungen, kleinen und großen Enttäuschungen an Gottes Hand gegangen bist, war am Ende gut.
Du hast dich an Gott festgehalten. Du hast gebetet und gekämpft. Und das rate ich dir sehr für die Zukunft: Halte an deinem großen Gott fest! Immer. Es gibt nichts Wichtigeres. Ob die Welt untergeht, Freunde dich enttäuschen, Nachrichten dich verunsichern oder deine Gedanken einfach durchdrehen: Atme tief ein und aus und geb deine Gedanken zuerst an Gott ab. Entscheide dich gegen die Angst. Am Ende wird alles gut.
Dieses Jahr war ein Jahr, in dem sich auch für deine Kinder Vertrautes geändert hat. Alle drei haben das unterschiedlich intensiv verarbeitet. Und es war dir so wichtig, ihnen gute Gedanken, Mut und Selbstvertrauen mitzugeben. Deine eigenen Sorgen nicht in die Kinderseele zu lassen. Was sind schon Schulnoten (mit denen du sowieso deine Probleme hattest), was sind Auszeichnungen und ein volles Kinderzimmer, wenn plötzlich nichts mehr zählt, als gesund zu sein und gute Freunde zu haben? Du konntest dankbar für deine Kinder sein. Es gab Kämpfe, die dich als Mama an deine Grenzen gebracht haben. Es gab Tränen und Wut. Aber du konntest sehen, wie aus den wilden, lauten, schüchternen, bockigen Kindern mit der Zeit große, mutige, ehrliche, humorvolle, verantwortungsbewusste Jungs werden! Das Wachstum der Kinder hat dein Herz immer wieder mit Wehmut und gleichzeitig mit Stolz und Dankbarkeit erfüllt. So wird es einem Mutterherz wahrscheinlich ein Leben lang gehen. Die Tage sind lang, aber die Jahre sind kurz. Bleib eine Mama, die nah am Herzen ihrer Kinder ist, die sie sieht und bewundert, zum Lachen bringt und an sie glaubt.
Du hast übrigens auch versucht, dir selbst zu sagen: Was ist ein sauberer Küchenboden, geputzte Fenster oder ein geharkter Vorgarten, wenn es Menschen in deiner Nähe gibt, denen es nicht gut geht? Wenn es um Zeit mit den Kindern geht, die nie mehr wiederkommt? Mein nerviger Alltag ist ihre besondere Kindheit. Ist nicht ein offenes Ohr und ein Kaffee für die Freundin viel wichtiger, als ihr Platz an einem schön dekorierten, geputzten Tisch? In den Zeiten des Lockdowns ist dir das allein-sein besonders schwer gefallen, denn du blühst auf und tankst auf, wenn du unter Menschen bist. Die Abgrenzung hat dir manchmal fast körperlich weh getan, aber es gab oft überraschende Wege und Möglichkeiten, sich zu treffen oder zu unterhalten. Ein Spaziergang. Ein Online Meeting. Ein Geburtstags-Zaun-Besuch. Ein Paket. Ein kurzes Winken beim Einkaufen. Nimm dir Zeit für Menschen!
Bleib immer an den Menschen dran! Sie sind wichtig und kostbar. Du kannst ihnen von deiner Hoffnung und Freude abgeben. Du dachtest oft: „Das ist doch nix. Das kann doch jeder. Das ist doch nur ein Spruch, den ich weiterleite. Was kann ich schon geben? Ich kann sowas nicht. Ich hab noch nicht genug erlebt. Ich bin dafür nicht gut genug.“ – Aber das bist du! So verrückt es auch klingt: Ich glaube, im großen Chaos ist es oft genau das, was die Menschen brauchen: Ein kleines Lächeln, ein Blumenstrauß, eine Postkarte, ein warmer Kaffee, ein Überraschungsbesuch, eine kurze Nachricht, die sagt: „Du bist mir wichtig. Und ich denke an dich.“
Ungefähr in der Mitte des Jahres hast du angefangen, am Ende jeden Tages aufzuschreiben, wofür du dankbar warst. Und du hast gemerkt, wie sehr dieser Kampf für das Gute und Schöne sich lohnt. Du hast gemerkt, wie viel dir die kleinen Freuden bedeuten und wie groß viele kleine Dankbarkeiten zusammen werden. Wenn dir bewusst wurde, wie viel ihr gelacht habt. Wie viel Schutz und Bewahrung es gab. Wie wichtig und schön die Sonne war. Wie überraschend und herrlich der viele Schnee war. Dass Gott alles in der Hand hat. Dass Gottes Plan immer passt. Dass Gottes Weg immer der gute Weg ist. Es sind nicht die Glücklichen, die dankbar sind. Es sind die Dankbaren, die glücklich sind!
In diesem Moment weißt du nicht, was noch kommen wird. Ob sich deine Wünsche erfüllen, ob deine Pläne aufgehen. Ob du jemals wieder in Kalifornien sein wirst. Ob du Doula Aufträge bekommen wirst. Ob du noch ein Baby bekommst. Ob das neue Auto lange hält. Ob ihr die richtige Oberschule für den großen Sohn wählt. Ob die Kinder gute Freunde haben. Ob deine Beziehungen halten. Ob ihr gesund bleibt. Ob ihr die richtigen Entscheidungen trefft.
Das Leben wird dich erschrecken und überraschen. Dein Herz wird sich vor Sorge zusammenziehen und vor Freude platzen. Aber ich möchte, dass du dir merkst, dass Gott immer da sein wird. Gott ist da. Er wird schon jetzt deine Sorgen und deine Fragen kennen. Und er hat die Antworten und den Plan. Und wenn du mit einem Lächeln und einem dankbaren Herz den Tag beenden kannst, dann kann das Gute sich in dir ausbreiten.
So ein schöner Text. Danke.?
Dankeschön!