März 2020
Ich habe beschlossen, Tagebuch zu schreiben.
Jeden Tag.
Weil so eine besondere Zeit festgehalten werden soll, weil ich ein Ziel haben möchte und weil ich ja vielleicht auch Inspiration und gute Laune abgeben kann.
Donnerstag, 19. März 2020
Dieses nicht-früh-aufstehen-müssen ist gefährlich. Und Ausschlafen ist so schön.. Inzwischen lassen wir allen Stundenplan-und-Schulglocken-Spaß sein.. die Kinder arbeiten, woran sie Lust haben, solange sie Lust haben. Der Mittlere schreibt seitenweise im Schreibschrift-Heft und der Große schafft 2 Seiten Mathe, schriftliche Subtraktion und Multiplikation. Das ist nicht lustig. Aber wir feiern jeden Erfolg und jeden Knoten, der im Kopf platzt. Zur Motivation stelle ich eine Stoppuhr hin und er schafft die schnellste Aufgabe in 1 min 20 sek. (Das Ergebnis ist 6stellig) Ich schreibe Postkarten, der Kleine malt bei Papa. Wir kommen gut voran. Später machen wir die Sportstunde mit Alba Berlin und schauen eine Sendung mit der Maus. Entspannt finde ich, dass so viel liegenbleiben kann. Der große Wohnzimmertisch ist der Schultisch. Die Wäsche, der dreckige Boden… kommt ja sowieso kein Besuch.
Wir stellen Walnüsse und Vogelfutter in den Garten und freuen uns über Vogel- und Eichhörnchen-Besuch. Später repariert der Mann meinen platten Fahrradreifen. Der eine Sohn geht liebend gern einkaufen. Der andere macht Denk-Rätsel. Sowas ist unbedingt auch Schule.
Eine Freundin ruft an und ich telefoniere kurz mit ihrer 5jährigen Tochter, die in meiner Kita-Gruppe ist. Sehr süß. Am Nachmittag gehe ich in den Kindergarten, um die Räume für Maler-Arbeiten vorzubereiten. Wir sprechen uns als Kollegen ab, damit wir nacheinander dort sind. Es ist wieder kühler geworden, wir überlegen, wie wir den großen 10. Geburtstag am Wochenende feiern, wir finden uns irgendwie mit der neuen Situation ab. Natürlich vermisse ich andere Menschen, auf jeden Fall. Ich muss aufpassen, den Frust nicht an der Familie auszulassen. Am Abend lege ich mich alleine in Ruhe in heißes Badewasser. Die Kalender-App am Handy erinnert weiter an alle Termine, die wir gehabt hätten. Aber keine Termine haben und nicht weg müssen bringt uns auch zu uns. Zusammen.
Freitag, 20 März 2020
Noch nie, noch nie! bin ich so entspannt in die Zeit der Kindergeburtstage gestartet. Wir haben nichts geplant. Die Schule läuft gut, erste Fächer sind durchgearbeitet. Ich schreibe Post und verschicke 12 Karten. Nach dem Unterricht fahre ich mit den Kindern zum Einkaufen, es ist kalt geworden und regnet sogar. Vorm Betreten des Ladens schärfe ich den Kindern ein, NICHTS anzufassen. Und ratet, was der Kleine mit dem Bonbon macht, das ihm aus dem Mund auf den Boden fällt.. Soviel dazu. Bis auf den großen Abstand in der Schlange zur Kasse und teilweise leere Regale merken wir keine großen Unterschiede. Neue Briefmarken kaufe ich auch. Mit den Rädern geht es wieder nachhause. Der Mann macht Essen. Die Kinder haben Radio Teddy entdeckt und versuchen, am Gewinnspiel teilzunehmen und einmal in der Stunde im Studio anzurufen. Wie groß sie plötzlich sind! Ich bin in Gedanken an dem Tag vor 10 Jahren und weiß genau, wie die Stunden der Geburt losgingen. Später schicke ich die Jungs nochmal raus, damit ich wenigstens ein bißchen sauber machen und Geschenke einpacken kann. Eine Freundin ruft mich an und ich bereite mich auf mein Online-Treffen mit Freundinnen vor. Der Mann isst mit den Kindern am Abend und sie schauen einen Film. Ich sitze im Nebenzimmer am PC. Kurz vor 23:00 Uhr bauen wir schnell den Geburtstagstisch. Unglaublich, dass wir nun schon 10 Jahre Eltern sind.
Samstag, 21. März 2020
Geburtstag! Der Große ist ein entspanntes Kind. Er weckt uns nicht zappelig um 5:30 Uhr. Er wartet, bis wir wach sind, legt sich zu mir ins Bett, bis die anderen das Pancake-Frühstück fertig haben. Ich genieße das. Wir singen mit Wunderkerzen und er packt mit großer Freunde seine Geschenke aus. Es gibt sehr leckere Pancakes und wir gammeln so in den Tag. Opa kommt und bringt Geschenke, auch die anderen beiden Brüder dürfen was auspacken. Und so ist keine Langeweile in Sicht. Ich räume sogar ein Kinderzimmer auf. Am Nachmittag kommen meine Eltern als Überraschung mit dem Fahrrad an. Alle vier Eltern sind schließlich vor 10 Jahren genauso Großeltern geworden. Mit Abstand und ohne Küsschen feiern wir zusammen, essen, machen einen langen Spaziergang, bauen im Garten und spielen. Um 20:00 Uhr sind wir wieder zu fünft und wir schauen bei Youtube die Übertragung des Müncheners Marionetten-Theater von „Die Zauberflöte“. Es ist etwas langatmig, aber der Große hat das Stück mit seiner Klasse eingeübt und es wird eine Aufführung geben. Dass er das klassische Stück so gut kennt, ist toll. Ein bißchen merken wir schon, dass wir öfter aufeinander hocken .. wir schicken die Kinder raus, so oft es geht. Der Geburtstag ist anders als alle anderen bisher. Aber so ist es gerade und wir machen das Beste draus. Die Nachrichten aus Italien sind bedrückend und wir hoffen und beten für ein schnelles Ende der Krise.
Sonntag, 22. März 2020
Wir frühstücken zusammen in schönstem Sonnenschein. Viele, viele Kirchen schalten eine Life-Übertragung und das ist wunderschön. So können wir mal in viele Gottesdienste, Musik und Kinderprogramm reinschauen. Kurz nach 10:00 Uhr machen wir uns mit den Rädern auf den Weg. Für Freunde, die nicht da sind, übernehmen wir den Schlüsseldienst für eine Wohnungsbesichtigung. Auch mit Abstand und wir sind weniger als 10 Personen. Die Sonne strahlt, es ist sehr kalt und es sind sehr viele Menschen unterwegs. Weitere Pläne haben wir für heute nicht. Wir hören die Musik und Predigt aus unsere Kirche an. Wir basteln, essen, spielen draussen, waschen Wäsche, skypen mit Freunden und haben einfach Zeit. Ich schreibe weiter Postkarten und hänge Wäsche auf. Der 3jährige fährt mit dem 8jährigen draussen um die Häuser. Der 10jährige skypt mit seiner Cousine. Ich habe das Gefühl, dass diese besonderen Tage meine Kinder so groß werden lassen. Obwohl sie Zeit zum Sein haben, machen sie plötzlich so Sachen, die große Kinder eben machen. Ist das gut oder schlecht? 😉 Am Abend gibt es einen schönen Film und Brote und Äpfel – ich freue mich ja schon fast, dass morgen „unsere Schule“ wieder startet. Mein Mann und ich gucken „Die Eiskönigin 2“, erst auf deutsch, dann noch die ersten Minuten auf englisch. Ich liebe, liebe, liebe diesen Film!
Montag, 23. März 2020
Nach dem Wochenende beginnt die Schule wieder. Wir stehen spät auf und beginnen zuerst mit Sport. Dadurch geht noch mehr Zeit verloren, aber die Jungs sind irgendwie albern und brauchen Bewegung. Immer mal wieder zwischendurch gehen sie kurz in den Garten.. so richtig kommen wir nicht voran. Der Große macht Sachunterricht und lernt für die Radfahrprüfung. Der Mittlere arbeitet sich durch Mathe-Arbeitsblätter. Ich schreibe 25 Postkarten und schicke die Jungs schnell zum Briefkasten. Beide Lehrerinnen schreiben tolle Emails und bieten Nachschub an, fragen nach, wie es uns geht und ermutigen die Kinder, Postkarten oder Emails zu schreiben. Ich telefoniere mit meiner Chefin und wir besprechen die nächsten Aufgaben. Keiner weiß, wann es in Schule und Kita wirklich weiter geht. In einer größeren Arbeitspause fahren die drei Jungs mit ihren Rädern um den Block. Sie treffen die Erzieherin des Kleinen, er freut sich, sie zu sehen. Ich wasche meine Haare und putze das obere Bad sehr gründlich bei offenem Fenster und Sonnenschein. Zum Mittags-Nachtisch gibt es einen großen Obstsalat. Die Kinder langweilen sich und sie skypen mit Freunden, sie schauen „Die Sendung mit der Maus“, sie hören Musik und Hörspiele, sie sind im Garten… es ist ziemlich kalt und wir merken so langsam die fehlende Abwechslung. „Kann ich mich mit meinem Freund treffen?“, „Wann können wir in den Park gehen?“ Ich möchte die Langeweile gern aushalten und warte auf neue, kreative Ideen. Der Mittlere möchte gern Waffeln backen und macht vom Rezept an fast alles allein. Das ganz normale Leben ist doch auch Schule. Ich hole den Mann immer wieder aus seinem Arbeitszimmer, damit ich kurz schreiben, Post beantworten oder telefonieren kann. Die viele freie Zeit ist nicht leicht gut einzuteilen. Am Abend schauen wir zusammen mit den Kindern „Die Eiskönigin 2“ an.
Dienstag, 24. März 2020
Frühstück. Schule. Ruhe. Pause. Garten. Haushalt. Mittag. Pause. Garten. Langeweile. Haushalt. Abendbrot. Film. Schlafen.
So ähnlich läuft gerade jeder Tag ab und langsam habe ich das Gefühl, verrückt zu werden. Ich muss RAUS. Ich brauche MENSCHEN. Ich würde viel geben für eine 1000 Menschen-Veranstaltung.
Heute habe ich mich geschminkt! Ich habe Schoko-Muffins für uns gebacken. Ich habe die Hasen auf die Wiese gesetzt und den Vorgarten schön gemacht. Ich habe Sprachnachrichten verschickt. Ich bin einmal die Straße auf- und ab gelaufen. Ich habe Wäsche gewaschen. Ich habe mit Freunden geskypt. Wir haben ein Sommerfest geplant, trotz allem. Das hat Spaß gemacht!
Tag für Tag. Beziehung statt Erziehung. Gesicht in die Sonne. Atmen.
Mittwoch, 25. März 2020
Nachdem gestern irgendwie die Luft raus war, ich schlechte Laune hatte, Menschen vermisst hab und meinem Mann mal meine Sicht der Dinge an den Kopf geknallt hab, ging heute alles deutlich besser. Wir haben zusammen gefrühstückt, unsere „Termine“ besprochen, viel zusammen gemacht, wir haben das YouTube Live Konzert mit Volker Rosin angeguckt und wir waren sogar lange in der Sonne spazieren. Ich hab von 20 Uhr bis Mitternacht mit Freundinnen gequatscht (Es lebe Zoom Call!!) und wir haben alle festgestellt, dass es uns ähnlich geht, wir die gleichen Sorgen, Beschwerden, Überforderungen und Fragen haben. Und das allein hat schon vieles besser gemacht.
Der Mittlere hat Post-Antwort von seiner Klassenlehrerin bekommen <3 , gleichzeitig hat sie neue Arbeitsmöglichkeiten für PC und Handy geschickt. Das hat den Sohn sehr gefreut und ich bin begeistert, wie tapfer und fleißig einige Lehrer gerade nach guten Ideen und Kontaktmöglichkeiten suchen.
Für die Lehrerin des Großen, die bald Geburtstag hat, starten wir ein Fotoprojekt mit den Kindern und über WhatsApp klappt das innerhalb Stunden. Ich bin begeistert! Solche kleinen Freuden suche und liebe ich.