21. Juli 2021
Es gibt nicht viele Themen, über die es mir schwer fällt, zu schreiben. Aber ich übe es. Hier und hier habe ich es versucht. Und ich lerne, dass auch das zum Leben und zu meiner Öffentlichkeit dazu gehört. Allerdings brauche ich ein bißchen Abstand, um davon zu erzählen.
Ende 2019 habe ich angefangen, regelmäßig zur Plasma-Spende zu gehen. Ich konnte das machen, so oft ich wollte (und es erlaubt war), es hat mir nichts ausgemacht, meine Werte waren super und ich bin da mit dem Rad hin und zurück gedüst – ich habe oft nichtmal gemerkt, dass ich überhaupt gespendet hatte. Ich habe die Zeit für mich, die gute Tat und das kleine Taschengeld schätzen gelernt.
Dann kam der Herbst 2020. Der erste Corona-Lockdown-Herbst, in dem die Stimmung irgendwie schwierig war. Meine Beziehungen, meine Verabredungen, meine Bewegung, meine Zuversicht und meine Leichtigkeit sind mir verloren gegangen. Ich konnte weiter Plasma spenden, der Bedarf wurde in diesen Zeiten natürlich größer.
Mein Puls war zur Voruntersuchung wegen der Fahrradstrecke immer etwas hoch, aber das wussten die Ärzte irgendwann. Bis dann ein neuer, junger Arzt kam. Und der ließ die Erklärung nicht so richtig gelten, sondern riet mir, das vielleicht mal einen Hausarzt kontrollieren zu lassen. Später brachte er mir sogar Eisen-Tabletten, weil ihm wahrscheinlich auch dieser Wert nicht gefallen hat.
In meinem Kopf wusste ich, dass alles gut war. Aber seine Worte haben sich so viel Macht über mich erlaubt, dass ich total verunsichert wurde. Dazu kam diese unnormale Lockdown-Zeit, der dunkle Herbst, viel Langeweile, um in mich hineinzuhorchen und jedes Herzklopfen zu kontrollieren, eine Herz-Geschichte in meiner Familie und mein Kopf-Karussell war gestartet.
Bei einem nächsten Spende-Termin lag ich wieder auf der Liege und spürte zum ersten Mal, dass es mir nicht gut ging. Mir wurde einfach komisch, ohne dass ich das erklären konnte. Nur noch zwei weitere Spender lagen im Raum. Es kostete mich große Überwindung, aber zum ersten Mal rief ich die Schwestern und sagte, dass es mir nicht gut ging. Sofort drehten sich alle zu mir um, meine Liege wurde mehr in eine waagerechte Position gekippt, ich sollte meinen Schal und meine Maske abnehmen und ruhig atmen. Ihre Fragen konnte ich nicht richtig beantworten, denn ich konnte irgendwie nicht beschreiben, warum es mir so komisch ging. Es war eine ziemlich unangenehme Situation.
Die Maschinen wurden umgestellt, sodass die Entnahme langsamer weiterlaufen konnte. Eine Ärztin kam und schaute mich an, klopfte auf meine Arme, Kopf und Schultern und stellte mir Fragen, auf die ich keine zufriedenstellenden Antworten geben konnte. Mir war schwindelig, mein Herz klopfte, meine Finger wurden kalt und ich wollte einfach nur nachhause. Die Ärztin sah mich ganzheitlich und durchschaute die Situation schon gut. Sie vermutete, dass eine Angst mir einfach den Brustkorb einklemmte. Die Maschine war irgendwann fertig. Ich schrieb meinem Mann und hielt ihn auf dem Laufenden. Es war offensichtlich alles okay, aber ich fühlte mich so schlecht. Die Ärztin half mir vom Stuhl, begleitete mich noch zur Toilette und dann zur Tür. Ich fühlte mich inzwischen an der frischen Luft besser und konnte -diesmal mit dem Auto- nachhause fahren.
Zuhause legte ich mich auf die Couch, trank ein Glas Cola – aber meine Gedanken ließen sich nicht mehr abstellen. Ich drehte völlig durch, was noch mehr passende Symptome produzierte. Mein Mann sagte seinen Abendtermin ab, ich fühlte mich nun auch deswegen schlecht und versank in einem Loch aus Angst und Selbstmitleid.
Ich merke, wie mein Herz wieder klopft, wenn ich davon erzähle. Im Blog habe ich ja schon ein bißchen erzählt, wie es weiter ging. Mein Mann gab mir hilfreiche Öle zum Atmen, er betete und segnete mich und hörte nicht auf, gegen meine Gedanken im Kopf zu kämpfen. Und natürlich wusste ich, dass eigentlich alles okay war.
Ich wusste aber auch, dass dieses Schlamassel, was mit Worten begonnen hatte, auch mit Worten beendet werden musste. Also redete ich mit meinem Onkel, der Arzt ist. Ich zeigte ihm meine Werte der Kontrolluntersuchung und seine Entwarnung erleichterte mich sehr. Dann beschloss ich, doch einen Hausarzt aufzusuchen, weil ich auch im Kopf sicher sein wollte. Alle Blut und EKG-Werte waren okay, ich rutschte in ein regelmäßiges Untersuchungs-Programm, in dem ein Hautarzt gleich noch einen dunklen Fleck am Fuß entfernte und ich scheuchte meinen Mann ebenfalls in die Routine-Untersuchung. Eine Ärztin riet mir, an 3 Tagen in der Woche 30 min. Sport zu machen, um Herz und Lunge auf Trab zu halten.
Ich bat ein paar Freundinnen, mich im Gebet in diesem Gedanken-Kampf zu unterstützen, ich passte besser auf mich auf, was Ernährung, Schlaf und gute Gedanken betraf und merkte Stück für Stück, wie ich dieses dunkle Tal wieder verließ. Aber ich konnte nicht wieder Plasma spenden.
Das neue Jahr kam, so eine lange Pause hatte ich noch nie gemacht. Das Blutspendezentrum schickte Erinnerungsbriefe und rief mich sogar an. Ich begann, täglich 30 min. anstrengenden Sport zu machen, über Wochen. Ich fühlte mich stark und fit und gesund und schön – aber ich konnte nicht wieder Plasma spenden. Allein der Gedanke daran verursachte Herzklopfen.
Ohne viel Erfahrung mit Trauma zu haben und ohne zu viel Drama in mein Problem zu interpretieren, wusste ich aber, dass ich an den „Ort des Schreckens“ zurück muss, um meine Angst zu überwinden. Ich brauchte 8 Monate, um einen neuen Termin zu machen!
Dann fühlte ich mich sicher und bereit und versuchte, nicht viel darüber nachzudenken, was passieren könnte. Was wenn alles gut geht. Ich wählte einen sonnigen Freitag, nahm mein Mut-Öl, setzte mich aufs Rad und fuhr los. Einfach machen. Es ging mir gut. Das Haus war ziemlich leer und ich musste nicht lange warten. Die Untersuchung machte ein Arzt, den ich nicht kannte. Vielleicht war es sogar der vom Oktober, aber ich versuchte, nicht darüber nachzudenken. Weil ich so lange Pause gemacht hatte, machte er wieder eine größere Untersuchung, bei der alles gut aussah. Er machte Witze und quatschte vor sich hin. Aber so genau wurde ich noch nie untersucht und ich merkte, dass ich unruhiger wurde, je länger er brauchte.
Dann ging ich in den Saal mit den Liegen, wo wieder nur zwei weitere Plätze besetzt waren. Alles war gut. Niemand erinnerte sich an den Vorfall oder fragte, wo ich so lange gewesen war. Alles war vertraut und schön. Die Maschine fing an zu arbeiten, ich schrieb irgendwas am Handy – und da merkte ich, dass mir wieder komisch wurde.
Nein! Ich wollte das nicht! Ruhe da in meinem Kopf! Ich konzentrierte mich auf meine Gedanken, atmete ruhig und versuchte, mich abzulenken. Eine Freundin hatte mir vor ein paar Tagen ein witziges Youtube Video geschickt, was 10 Minuten ging und das sah ich mir an. Ablenken. Atmen. Ich wollte das schaffen und meine Sicherheit wiederbekommen.
Und ich schaffte es!
Ich beendete die Spende, stand auf und ging nach draußen, um noch einen Saft zu trinken. Es ging mir nicht so gut, wie früher nach der Spende, aber ich hatte es geschafft. Auf der anderen Straßenseite hatte ein neuer Eis-Stand geöffnet und mein Mann schrieb, ich sollte mir jetzt ein großes Eis gönnen, um dieses Erlebnis mit einer neuen, einer positiven Erinnerung zu verbinden.
Ich suchte mir zwei leckere Kugeln aus und setzte mich an die Straße, um auszuruhen und meinen Sieg zu feiern. Hört sich vielleicht komisch an, aber es war wichtig. Und dann schrieb mein Mann noch: „Warte da. Wir kommen auch.“
Gemeinsam mit den Kindern bestellten wir noch mehr Eis und fuhren mit den Rädern nachhause.
Ich trank an diesem Tag viel und passte auf mich auf. Ich werde in Zukunft vielleicht nicht öfter als 1x im Monat zur Plasmaspende gehen, bis ich mich wieder gut dabei fühle. Ein paar Tage später kam die Post mit den Ergebnissen meiner Untersuchung an und alle Werte waren gut.
Auf einer meiner Sommerlisten steht: Besiege eine Angst! und das habe ich geschafft!