So viel Einheit. So viel Herz.

03. März 2022

Erinnert ihr euch an dieses große Gemeinschaftsgefühl im Jahr 2015, als so viele Geflüchtete in Deutschland und Berlin ankamen? Das Mitleid und die Hilfsbereitschaft war groß. Die Spenden kamen in Massen, wir gingen zum Lageso Berlin, wir besuchten Gemeinschaftsunterkünfte, wir bereiteten Bettenlager vor, gaben Deutsch-Unterricht und spielten mit den Kindern.

Es war mühsam, die Sprache war schwer, die Kultur war so anders. Aber ich habe es geliebt. Es war so besonders, so berührend. Endlich runter vom Sofa und ganz nah bei den Menschen sein, die unsere Liebe so brauchen. Endlich das tun, von dem wir in der Kirche reden.

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Viel Zeit ist seit dem vergangen. Deutschland hat ein paar harte Jahre hinter sich. Da war nicht mehr viel von Einheit zu spüren. Nicht viel von offenen Armen und Nächstenliebe.

Ich möchte gar nicht viele Worte darüber verlieren, aber wir hatten alle gut mit uns zu tun. Lebens-Modelle wurden über den Haufen geschmissen. Da war so viel, was wir nicht wussten und konnten. Ich weiß nicht, ob Deutschland schon wieder auf dem Weg ist, aufeinander zuzugehen.

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Und plötzlich ist Krieg.
Und plötzlich geht es um unsere Nachbarn.
Und plötzlich geht ein Ruck durch Deutschland, Europa und die Welt.

Die sozialen Medien haben seit 2015 auch einen ordentlichen Schub gemacht, die Netzwerke boomen und die Nachrichten und Meldungen überschlagen sich – und diese Einheit, die ich spüre, haut mich gerade echt um. Da geht grad echt eine Welle durch das Land. Hilfsbereitschaft, ein Aufstehen, Aufklären, Mitgefühl und Gebet. So viel Gebet!

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Am Freitag, 25. Februar, kamen in unserer Flohmarkt-WhatsApp-Gruppe aus dem Kiez die ersten Fragen auf, wer denn wüsste, was gebraucht würde. Es war irgendwie klar, dass uns das länger und mehr beschäftigen würde und ich gründete mit einer Freundin eine WhatsApp Gruppe.
Wir hatten Kontakt zur „Ukraine Hilfe Lobetal“ und wollten einfach besser die Anfragen und Spenden koordinieren. Und vor allem wollten wir einfach irgendwas tun, irgendwie helfen.

Heute, nur 6 Tage später, sind 60 Personen in der Gruppe, obwohl es allein in Laufnähe mehrere Sammelstellen gibt.

Wir haben unglaublich viele Spenden bekommen. Matratzen, Bettzeug, Notstromaggregate, Verbandsmaterial, Medikamente, Hygieneartikel, Buggys, Windeln, Feuchttücher, Babynahrung und unglaublich viel Kleidung.
Am Samstag werden wahrscheinlich 3 große Autos zur nächsten Sammelstelle fahren, wo dann die LKWs in Richtung Polen/Ukraine fahren.

In der WhatsApp Gruppe kenne ich vielleicht 25 Leute persönlich, die anderen sind Freunde von Freunden, Nachbarn und Kollegen. Wir schreiben im Chat, wir sehen uns kurz bei der Übergabe, wir wechseln ein paar Worte. Und da ist so viel Dankbarkeit, gemeinsame Traurigkeit, Hilflosigkeit.
Aber aus allen Ecken hören wir „Sagt uns, was wir noch tun können.“ – „Sagt uns, wenn ihr mehr Zeug braucht.“ – „Danke, dass ihr das macht.“

Ich bin tief bewegt von diesen kurzen Momenten mit Menschen aus meinem Kiez. Plötzlich ist es nämlich egal, wie es in unserem Wohnzimmer oder auf unserem Konto, im Terminkalender oder im Impfpass aussieht.
Wir stehen auf vom Sofa, wir gehen diese Kisten an, die schon ewig im Keller stehen. Wir rufen alle Eltern in Schule und Kita an und teilen den Spendenaufruf. Wir fahren die Extra-Meile, um Zeug einzusammeln oder einzukaufen. Wir geben Dinge ab, die uns gehören, weil sie jemand anders vielleicht dringender braucht. Wir fahren nach Feierabend noch zur Sammelstelle, um Kisten und Tüten aus dem Auto zu packen. Wir lassen unsere Kinder mitpacken und stellen uns ihren Blicken und Fragen. Wir halten das Leid und die Not kaum aus, ohne selbst mit anzupacken.

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Und dann gibt es die, die nicht nur ihr Hab und Gut teilen, sondern auch ihr Zuhause. Die sich in kaltes Wasser wagen und rufen: Ich habe einen Platz für dich!

Meine Eltern haben sich gestern mitten in der Nacht an den Berliner Hauptbahnhof gestellt, um die Reisenden aus dem Zug aus Warschau mit offenen Armen willkommen zu heißen. Hunderte Berliner standen dort mit Papp-Schildern und einem großzügigen Herz. Das ist bewundernswert und wunderschön, wenn man bedenkt, dass wir zur Sicherheit in den letzten Monaten nicht mal Freunde und Familie in unsere Wohnung gelassen haben..

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Wenn ich müde und gestresst bin, wenn die Nachrichten im Handy explodieren, wenn das Telefon klingelt und alles viel wird, dann denke ich an diese Momente.

Die Helfer auf dem Hauptbahnhof, die teilweise ohne Begleitung nachhause gehen mussten, weil es mehr Helfer als Geflüchtete gab. Momente mit so viel Herzlichkeit unter Fremden an der Sammelstelle. Zusagen von Spenden von großen Läden. Wenn ich das Gefühl hab, endlich wieder richtig mit anzupacken und ein bißchen die Welt zu verändern. Diese Momente, wenn das WIR wieder größer wird, als das ICH.

Und ich bin dankbar und stolz, dass wir es noch drauf haben. Dass eine Pandemie unser Herz nicht kaputt gemacht hat. Dass die Struktur den Menschen folgt, und nicht andersherum. Dass wir aufstehen für Ungerechtigkeit und dass wir nicht mit ansehen, wie unser Nächster leidet.

Danke dafür!

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