Mein Vorschuljunge

Man sagt, dass ich früher mal mehr im Blog geschrieben habe. Sehe ich auch so. Mehr, als nur „12 von 12“ und „Hallo, neuer Monat!“ Und so.

Ich hatte mehr Zeit. Und weniger drumherum. Was auch so alles in meinem Kopf herumschwirrt… Soll ich mal sammeln?

Der Haushalt, Umräum-Pläne hier und da, das Büro sortieren, die Wäsche, Kinderkleidung passend und sauber halten, der Garten, der Mann, abends weggehen und so, die Ehe lebendig halten, die Kinder, der Große und der Kleine, Kitaprogramm, Vorschulkram, Eltern-Treffs, Beziehungen bauen und pflegen, Freundschaften, Freundinnen fragen, wie es ihnen geht, die Familie, Geburtstage, whatsapp, Hochzeitsgeschenke, Karten schreiben, Emails beantworten, die Kirche, Ehrenämter, Veranstaltungen, Kurse besuchen und vorbereiten, mit Freunden wegfahren, mal was für mich, einkaufen, die berufliche Situation, fast kein Einkommen haben, planen, vorsorgen, keine Sorgen machen, die Nägel lackieren, die Nachbarn kennenlernen, Bücher lesen, genug schlafen, gut aussehen, glücklich sein.

Das ist alles so in meinem Kopf. Und noch mehr.
Mein Büro-Job hat mein Leben jetzt nicht unbedingt viel anstrengender gemacht – aber die 11 Stunden in der Woche sind halt weg. Ich bin egoistisch und nehme im Kopf fast nichts von der Arbeit mit nachhause, im Büro nicht an Privates zu denken, klappt nicht immer.

Das soll jetzt keine Ausrede sein, warum ich hier nicht mehr so oft schreibe. Material hab ich im Kopf und Herz genug! Irgendwas muss aber immer warten. So ist das.

Zum Beispiel habe ich in diesem Jahr auch (noch) nicht geschafft, die Geburtstagsbriefe an meine Jungs zu schreiben. Es kostet Zeit und Nerven, aber sowas lohnt sich. Zum Aufschreiben, zum Behalten, zum Vorlesen und zum immer wieder Lesen.

 

Heute schreibe ich deswegen einfach mal so ein paar Gedanken über Emilian auf. Mein Großer. Mein Vorschulkind.

Er ist so toll.
Er ist schlau. Er ist sensibel. Er ist aufmerksam. Er ist ausdauernd. Er ist gewissenhaft. Er ist ehrgeizig. Er ist fürsorglich. Er ist nachgiebig. Er ist humorvoll. Er ist schnell. Er ist gewitzt. Er ist liebevoll. Er ist geduldig. Er ist kreativ.

Wir teilen die Liebe zu Büchern und Hörspielen, die Freude am draußen sein, die Liebe zu Kleinigkeiten und Besonderheiten, die Fähigkeit, Freundschaften zu beginnen und zu halten.

Ich höre gern von seinen Gedanken, Fragen und Antworten und er hilft mir, die Welt zu erklären und zu verstehen. Er hat tolle Lieblingsthemen und kann sich viele Einzelheiten über lange Zeiten hin merken. Die Schule wird ihm neue Welten eröffnen und er wird begeistert in diese Welten eintauchen.

Ach ja… die Schule.
Ich erinnere mich an das kleine, stille, schüchterne Mädchen, das 1991 eingeschult wurde. Und in 4 Monaten ist es für Emilian soweit. Vier Monate!

Unsicherheiten und Sorgen und Fragen bewegen mich. Auf der anderen Seite ein fettgedrucktes „Das haben bis jetzt alle vor uns auch geschafft!“ 
Ich versuche, ganz viel Freude und Neuiger und Vorfreude mit Emilian zu teilen. Ängste werden schon früh genug kommen.

Es gibt Momente, in denen er sich fest an mich klammert und sich keinen Schritt wegtraut. Sehr häufig kam das am Anfang dieses Jahres vor, was mit dem Beginn meiner Arbeit zu tun haben kann. Umso wichtiger ist es mir geworden, Zeiten in Ruhe oder Zeiten zu zweit zu finden.

Weil er im Kindergarten und im Kindergottesdienst gar nicht gern ohne mich sein wollte, habe ich mich gefragt, woran das liegt. Vertraute Personen, gute Freunde, bekannte Umgebung.

Ich habe mich gefragt, was ihm wirklich Spaß macht.
Ist das Kinderzimmer zu voll?
Sind die Wochentage zu voll?
Ist mein Alltag zu voll?

Eine Veränderung brachte auf jeden Fall das wärmere Wetter. Wenn er mit Liam in seiner „Höhle“ oder auf dem Sandberg spielen, experimentieren, phantasieren und an frischer Luft Kind sein darf, ist er ausgeglichener. Eine Runde Rad fahren, schaukeln und klettern tut ihm gut. Hörspiele und Malhefte helfen ihm, den Kopf abzuschalten.

Dann ist mir aber noch eine andere Sache aufgefallen:
Seit Mitte März ungefähr gehen wir regelmäßig, einmal in der Woche zur „Teestube“. Das ist ein kleiner Raum in einer großen Gemeinschaftsunterkunft, ein paar Minuten entfernt von uns.

Es war mir wichtig, dabei zu sein, weil diese Unterkunft so nah bei uns ist und weil die Kinder dort inzwischen fast fließend deutsch sprechen können. Wir sind dort meist so 2 Stunden und trinken Tee, Kaffee oder Kakao, wir spielen und puzzeln, wir klettern und rutschen, wir reden und lachen.

Es ist kein großes Ding für mich. Aber für die Kinder.

Als die Flüchtlingskinder mich nach den ersten Besuchen anlächelten, mich erkannten und nach meinen Jungs fragten, wenn nur einer von ihnen dabei war, wusste ich, dass ich da richtig bin.

Egal, wie voll der Tag oder wie spannend das Spiel gerade ist… Wenn ich rufe: „Wollen wir zur Teestube?“, rufen meine beiden Kinder „Jaaa!“ und ziehen ihre Schuhe an. Das berührt mich sehr, denn ich weiß, wie wichtig diese Beziehungen sind. Für uns alle.

Der Raum der Teestube ist nicht besonders warm, es ist laut und nicht sehr sauber. Die Stühle sind wahrscheinlich von überall gesammelt, es ist eng und die Regale sind voll mit irgendwelchem Zeug. Aber der Raum ist voller Liebe und Leben!

Ich sehe, wieviel Spaß Emilian dabei hat, völlig fremden Jungs ein Spiel zu erklären. Wie er vor Aufregung wie ein Flummi auf der Couch hüpft und die Zahl des Würfels kaum erwarten kann. Wie er loslacht, wenn ein Spielstein weiterziehen darf.

Ohne nachgedacht zu haben, habe ich ein Spiel mitgenommen, bei dem es keine Gewinner oder Verlierer gibt, sondern sozusagen die Gruppe gegen das Spiel spielt. Und der Jubel war soo laut, als die Kinder knapp gewonnen haben.

Die coolen Jungs, die heimlich lächeln, wenn sie eine gute Zahl würfeln. Die schüchternen Mädchen, die ihren Kakao löffeln und mir ihren Namen flüstern. Die Rabauken, die durch den Raum flitzen und alle ihren Namen aufschreiben lassen. Die Brüder und Schwestern, die jeweils dem anderen einen Platz freihalten. Und meine Kinder, die lernen, wie gut sich teilen anfühlt.

In der letzten Woche hatten wir einen Fußball dabei und spielten ein bißchen auf dem Hof. Als es kälter wurde, ging ich mit Liam in den Raum zurück, Emilian blieb draußen.
Später kam ein junger Mann zu mir und fragte mich auf englisch, ob er mit meinem Sohn spielen dürfe. Und dann spielten sie zu zweit, später zu dritt und zu viert – in mehreren Sprachen.

Die „Teestube“ hat mir wieder gezeigt, dass es etwas gibt, was Emilians Herz berührt und fröhlich macht. Ja, ich bin mit ihm da, aber er spielt frei, rennt umher, lacht und tobt.

Ich möchte viele dieser Momente in diesem Sommer mit Emilian erleben, im letzten Sommer vor der Schule. Und ich möchte ihm nicht vermitteln, dass Schule irgendwas mit dem Ernst des Lebens zu tun hat.

Ich möchte ihm zuhören, wenn er philosophiert. Ich möchte auf dem Fahrrad neben ihm fahren und reden. Ich möchte mit ihm lesen und schreiben, backen und Unkraut zupfen. Ich möchte ihn zum Lachen bringen und ihn auf den Schoß nehmen, so oft es geht.

Und wenn all‘ das Neue im Leben zu aufregend für uns beide ist, dann möchte ich ihn mit Geduld und Liebe ermutigen. Und festhalten, wenn es sein muss. Und loslassen, wenn es sein muss.

 

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