Das Wochenende, an dem ich nicht mit dem Flugzeug abstürzte

Ich habe euch etwas verheimlicht.
Eine ganze Weile schon. Denn ich habe in den letzten vier Tagen fast 20.000 km zurückgelegt.
Das kam so:

 

Noch in Berlin wussten wir ja, dass mein Bruder am 30. August in Stuttgart seine Verlobte heiraten möchte. Weil es an ihren und an unseren Plänen aus verschiedenen Gründen nicht viel zu schieben gab, akzeptierten wir alle schnell, dass die nächste Familienhochzeit nach meiner eben ohne uns vier gefeiert werden muss. War doof, ist aber eben manchmal so.

Der August kam näher, ich sah, dass sich meine Kinder gut im neuen Land eingelebt hatten und ich fing an, zu planen. Ein Flug zu viert wäre zu teuer. Der Jetlag würde die Kinder verrückt machen. Aber… wie wäre es, wenn ich allein zur Hochzeit fliegen würde? – Nein, ausgeschlossen! Ich kann nicht alleine fliegen! – Aber ohne Kinder kann es doch nicht so schlimm sein… – Nein, das traue ich mich nicht!

Der Gedanke ließ mich nicht mehr los! Schon im Juli hätte ich vor Aufregung über diese große Reise platzen können. Ein Überraschungsbesuch! Ich stellte mir die Blicke und Reaktionen der anderen immer wieder vor. Mein Mann bekam unweigerlich mit, wie mich diese Gedanken beschäftigten und wie wichtig mir diese Hochzeit war. Er gab mir schließlich sein Einverständnis. Immerhin würde es ja dann seine Aufgabe sein, die Zeit, in der ich nicht da sein würde, mit den Kindern zu verbringen.

Provisorisch suchte ich immer mal wieder nach Flügen. Für einen guten Preis hätte ich mich längst entscheiden müssen. Wir dachten darüber nach, Freunde um Unterstützung zu bitten. Ich hatte so etwas noch nie gemacht und fühlte mich komisch dabei, aber schließlich leben wir hier irgendwie von Spenden und ein Gehalt, das ab Juni kommen sollte, gibt es noch nicht. Mein Fundraiser-Mann half mir und wenige Minuten nach dem Senden dieser Mails kam die erste positive Antwort. Wow!

Die verrückte Reise wurde ein bißchen realer – und dann passierten die Flugzeugabstürze in Russland und Afrika.
Nein, ich kann nicht fliegen! Das schaffe ich nicht. Das kann ich nicht.
Wenn ich mit meiner Familie abstürze.. gut. Aber ich alleine, ohne Mann und Kinder? Nein!

Die Freunde, die uns hier besuchten, wurden mit eingeweiht und beruhigten mich. Ich machte ein paar Anläufe, einen gewünschten Flug zu buchen, konnte es aber nicht. Erst nach ein paar Tagen, am 5. August, fand ich einen perfekten Flug mit guten Abflugs- und Ankunftszeiten, mit guten Umsteigezeiten und zu einem guten Preis – und ich traute mich. Ich hatte also tatsächlich gebucht! Mein Mann hatte gebucht. Delta würde es sein. Ich würde von Donnerstag bis Sonntag nicht bei meiner kleinen Familie, sondern 10.000 km entfernt bei meiner großen Familie sein!

Die gewünschte Spenden-Summe kam nicht ganz zusammen, jedoch erhielten wir wenige Tage nach der Buchung die Nachricht, dass uns eine 4stellige Summe vom Finanzamt zurücküberwiesen wurde. Das war eine unglaubliche Bestätigung für uns. Danke an alle Freunde, die mir diese Reise ermöglicht haben!

Ich war noch immer sehr aufgeregt, aber nun konnte ich planen!
Mit unserem Besuch aus Deutschland war ein Shopping-Tag geplant und weil auch meine Freundin ein paar Hochzeiten vor sich hatte, machten wir beide uns auf Kleider-Suche. Unsere Männer waren mit den vier Jungs unterwegs und wir hatten einfach nur uns – und die Kleider Amerikas. Oh Amerika, was für ein Traum! Ich probierte unzählige Kleider an und schickte Fotos zu meiner Schwester, der einzigen Person, die eingeweiht war. Sie hatte mir verraten, dass mein Bruder in dunkelblau heiraten würde und er sich gewünscht hatte, dass auch seine Schwestern in dunkelblau gingen. Ich hatte tatsächlich zwei Kleider aus Deutschland mitgenommen, weil ja mein Schwager auch im Mai geheiratet hatte – aber eben nicht in dunkelblau.

Ich zog viele schöne Kleider an, eher kurze. Mein Mann sagte, ich solle ruhig meine braunen Beine zeigen. Aber entweder waren sie zu kurz, zu altmodisch oder zu teuer.
Zwischendurch hatten wir ein wunderschönes langes blaues Kleid entdeckt, aber ich mochte keine langen Kleider und wir ließen es hängen. Als aber am Ende des Tages und unserer Kräfte kein Kleid in die engere Auswahl gekommen war, gaben wir dem langen Kleid eine Chance. Nur mal anziehen.
Als ich aus der Kabine kam, wartete meine Freundin draussen. Sie sah mich mit großen Augen an und sagte leise: „Marit… du musst dieses Kleid kaufen!“
Wir wagten einen Blick auf das Preisschild.. und es verschlug uns die Sprache. Dieses Kleid war mit Abstand das teuerste.. fast doppelt so teuer, wie andere, die wir zurück gelegt hatten, weil sie uns zu teuer waren… Aber sie sagte wieder: „Ich geb‘ dir was dazu, kauf‘ dieses Kleid!“ Und ich kaufte es. An den Blicken meines Mannes und meiner Söhne erkannte ich, dass es die richtige Entscheidung gewesen war.

 

Je näher der 28. August, mein Abreise-Datum war, desto hibbeliger wurde ich. Freunde, die ich hier einweihte, freuten sich mit mir und waren hingerissen von meiner geplanten Überraschung. Erst ein paar Tage vorher entschied ich, doch Gepäck zum Aufgeben mitzunehmen. Eigentlich wollte ich ganz entspannt nur mit Handgepäck reisen und es hätte eigentlich auch gereicht… aber so konnte ich schon erstes Zeug, das wir nicht mehr brauchten, zurück nach Deutschland nehmen. Ausserdem mehr Schuhe und dickere Kleidung, für den Notfall. Ich sprach immer wieder mit meiner Schwester und sie erzählte mir, wie schwer es ihr fiel, die Klappe zu halten und wie sie aber schummelte, damit ich ein Bett, Bettzeug und Essen hatte. Beispielsweise gab sie ihr Bettzeug „aus Platzgründen“ meiner Mama mit und packte aber selbst auch welches ein, für mich.

Den Kindern erzählte ich lange nichts von meinen Plänen, denn ich wollte sie nicht tagelang in Sorge lassen und wollte ausserdem nicht, dass sie sich im Skype verplapperten. Eines Tages sagte Emilian: „Mama! Wann bist du denn mal wieder am Abend weg? Wir wollen mit Papa mal wieder Männerparty machen!“ Erstaunt sah ich meinen Mann an. Als ich Emilian dann erzählte, dass er bald vier Tage mit Papa Party haben könne, freute er sich riesig. „Dann sage ich Papa mal gleich, dass er dann eklig rülpsen kann!“ Kein Wort über „Ich will nicht, dass du weg gehst.“ oder „Ich will mitkommen.“. Er freute sich auf die „Party“ und ich war erleichtert, dass die drei mich in Frieden gehen ließen. Wir ließen die Kinder in einem kleinen Film Grüße ausrichten und sie wussten, dass Mama dieses Video dann mit zur Hochzeit nehmen würde.

Am Tag vor der Abreise ging ich auf die Seite von FlightRadar24. Kennt ihr das? Jedes Flugzeug, das sich gerade in der Luft befindet, kann angesehen und verfolgt werden. Flugdaten, Startort, Zielort. Ich war absolut erstaunt darüber, wie viele Flugzeuge sich in jeder Minute in der Luft befinden! Diese Seite ist echt faszinierend. Zusammen mit den Kindern sah ich mir Los Angeles und Stuttgart an und wir beobachteten Flugzeuge auf ihrem Weg dorthin. Emilian zeigte auf ein Flugzeug und ich las ihm vor, wohin dessen Reise ging. Meine Absturz-Ängste verschwanden auf der Stelle. Wenn von diesen unzähligen Flugzeugen nur alle paar Jahre mal eins abstürzte…

Bis zum Abend vor dem Abflug hatten wir keine Idee, wie ich zum Flughafen kommen sollte. Der Flug ging um 7:35 und wir wollten die Kinder nicht mitten in der Nacht wecken, damit ich gegen 5:00 am Flughafen sein konnte. Ein paar Freunde boten sich an, bei uns zu übernachten, damit die Kinder am Morgen nicht alleine wären – und sie hätten geschlafen, bis mein Mann wieder dagewesen wäre, aber das war uns trotzdem unsicher, denn die Freunde sprachen kein deutsch.
Am Mittwoch bot sich dann ein Freund aus der Kirche an, mich zu fahren. Er wollte mich um 4:00 abholen.

Ich hatte mit Freuden eine Geschenketüte für das Brautpaar und einige kleine Geschenke für andere gepackt, hatte mein pflegeleichtes Traumkleid verstaut, Schuhe, lange Hosen und Kosmetik eingepackt. Am Abend verabschiedete ich mich von den Kindern, die Koffer standen bereit – unnötig zu erwähnen, dass ich in dieser Nacht kein Auge zutat. Ich versuchte es wirklich… aber es ging nicht. Mit dem Wecker-Ton sprang ich auf und saß dann zappelnd im Wohnzimmer und wartete auf mein Auto. Gut gelaunt und über die Maßen aufgeregt verabschiedete ich mich nochmal und nochmal von meinem Mann und stieg ins Auto.
Die Reise hatte begonnen!

 

Wir kamen überpünktlich an und dann stand ich mit meinen zwei Koffern ganz allein im Flughafen in Los Angeles. Erst dann fiel mir auf, wie wenig ich auf unserer Reise in die USA eigentlich von allem gewusst hatte. Ich war meinem Mann (mit zwei Kindern und Gepäck) hinterhergedackelt… jetzt war ich für alles allein verantwortlich. Eine freundliche Flughafen-Frau half mir beim Self-Check in und druckte meine Bordkarten aus. Dann gab ich meinen Koffer ab. Die Frau am Schalter versuchte, mich auf deutsch zu begrüßen, aber sie hatte den Satz vergessen. Als auch ihr Kollege ihr nicht weiterhelfen konnte, baten sie mich „How are you?“ auf deutsch zu sagen. Lachend erinnerten sie sich und der Mann bat mich, den Satz zu wiederholen. „Wie gehts dir?“ Er nahm sich Zettel und Stift und schrieb: „Wee getsa?“

Sonnenaufgang in Los Angeles

Sonnenaufgang

 

Ich fand mein Gate, kaufte einen wunderbaren Kaffee, den mein Autofahrer mir vor wenigen Minuten im Auto empfohlen hatte und genoß Ruhe, WLAN und einen schönen Sonnenaufgang am Flughafen. Der erste Flug nach Atlanta, sowie die Sicherheitskontrollen verliefen ohne Probleme. Es war leer auf den Flughäfen, das Personal war entspannt, ich bekam einen Platz am Gang, die andere Seite war frei. Nach Atlanta flogen wir ungefähr 3 Stunden und ich nutze die Zeit, um Schlaf nachzuholen.

Flugdaten für meine Männer

Flugdaten

In Atlanta fand ich schnell meinen Weg zum nächsten Gate. Die 2 1/2 Stunden Umsteigezeit waren fast zu viel. Ich machte mit meinem Handy ein Video für meine Jungs und bekam süße Video-Grüße zurück. Und ich freute mich, um mich herum die ersten deutschen Stimmen zu hören. Am Schalter wartete ich darauf, einen Platz zugewiesen zu bekommen und ein Angestellter fragte mich, ob ich einverstanden wäre, ….. zu sitzen. Ich verstand ihn nicht, aber es hörte sich an, als hätte er etwas Besonderes für mich. Ich bekam einen Platz in einer Zweierreihe mit viel Beinfreiheit, aber es war der Emergency-Sitz, neben dem Notausstieg. Daher also die Frage. Als ich vor Flugbeginn von einer Stewardess gefragt wurde, ob ich im Notfall bereit sein würde, dem Personal zu helfen, war ich endgültig verwirrt…

Neben mir nahm eine ältere Lehrerin Platz, die 3 Wochen Schüleraustausch in Wisconsin hinter sich hatte und sich sehr auf Zuhause freute. Trotzdem ich eine Jacke trug und extra Socken angezogen hatte, fror ich sehr. Ob die Notfall-Tür nicht richtig verschlossen war? Wir flogen an der amerikanischen Ostküste hoch und ich versuchte vergeblich, die Freiheitsstatue zu entdecken… Ich bekam Ohrhörer, eine Schlafmaske, genug Trinken und leckeres Essen und versuchte auch, zu schlafen. Ich würde am Morgen gegen 8:00 Uhr in Stuttgart landen und hatte dann einen langen Tag vor mir. Der Platz an der Wand erleichterte das Schlafen sehr! Der schöne Sonnenuntergang und -aufgang war leider nur aus den Fenstern auf der anderen Seite zu sehen.

Blick aus dem Fenster

Himmel

In der Nacht ging der Flug über den großen Atlantik.. ein unheimliches Gefühl. Über Schottland kamen wir nach Europa. Ungeduldig und zappelig verfolgte ich auf der Landkarte am Display, wie wir uns Stuttgart näherten und wir landeten schließlich früher als geplant.

Fast da…

Fast da

Ohne Wartezeit bekam ich meinen Koffer und nach kurzer Zeit entdeckte ich den Trauzeugen meines Bruders, der eingeweiht war und mich abholen sollte. Es regnete. Willkommen in Deutschland. Ich freute mich, deutsche Nummern- und Strassenschilder zu sehen. Und ich war so aufgeregt!
Der VW-Bus, in dem wir fuhren, hatte nur zwei Vordersitze und als wir uns dem Haus der Braut näherten, wo alle bereits anwesenden Gäste zum Frühstück verabredet waren, verschwand ich nach hinten auf den Boden, um noch nicht gesehen zu werden. Wir überholten meine Schwester und ihren Verlobten. Der Fahrer hielt an, um sie mitzunehmen, aber sie lehnten ab. Meine Schwester sah dann ins Auto, aber erst, als es wieder losfuhr, entdeckte sie mich. Allein ihr Gesichtsausdruck war die Reise schon wert!

Wir hielten am Haus, ich stieg aus, um meine Schwestern zu begrüßen. Plötzlich kam Mama aus dem Haus gerannt, sie schluchzte und ließ mich gar nicht mehr los. Im Haus ging das Begrüßen und Jubeln weiter. Auch die zukünftige Braut hatte Tränen in den Augen und strahlte mich sprachlos an. Glücklich und zufrieden setzte ich mich mit den anderen an den Frühstückstisch. Wir lachten und redeten. Ich bekam Kaffee, deutsche Brötchen, Käse und Nutella. Ich war noch nicht so lange aus Deutschland weg, um die Sachen zu sehr vermisst zu haben, aber es tat gut, irgendwie zuhause zu sein.
Nach einigen Minuten kam auch mein Bruder verschlafen aus seinem Zimmer und er freute sich sehr, mich zu sehen.

 

Am Freitag waren wir mit Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt. Einige dekorierten den Raum, andere bereiteten Salate für den geplanten Grill-Abend vor. Immer wieder reisten Gäste an und immer wieder gab es überraschte Gesichter oder auch ein „Ha! Ich hab mir doch gedacht, dass du kommst! Es war so ruhig auf Facebook.“ In der Tat hatte ich in den zwei Tagen keinerlei Verbindung zur Aussenwelt, erst Recht nicht zur amerikanischen… aber meine Schwester sagte meinen Männern Bescheid, dass ich gut angekommen war und meine Tante versorgte sie mit Fotos. Wir aßen draussen Mittag und es wurde fast kalifornisch warm. Ich legte mich nach dem Essen zum Schlafen hin, aber das war keine gute Entscheidung. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr richtig wach zu werden. Trotzdem hatte ich keine großen Probleme mit der Zeitumstellung. Ich bekam Kaffe und dachte nicht daran, welche Uhrzeit gerade in Kalifornien war. Das klappte gut.

Eine ganz un-kalifornische Blumenwiese

Dorfwiese

Immer wieder regnete es, doch am Abend wurde es trockener und wir trafen uns auf einer Waldwiese, um beim Grillen das Hochzeitswochenende zu beginnen. Wie gut, dass ich doch eine Jacke und feste Schuhe eingepackt hatte! Ich war sehr froh, bei alldem dabei zu sein. Selbst, wenn ich aus Berlin angereist wäre, hätte ich auf dieser Hochzeit viele Freunde wiedergetroffen, die ich lange nicht gesehen habe. Aber so war es natürlich noch besser! Die Überraschung ist gelungen!

Ich packte das Zeug für Berlin aus, sammelte Geschenke für die Jungs ein und nahm schon Sachen von meiner Schwester mit, die am 2. September bei uns landet. Ihr wollten die Verwandten kleine Grüße für meine Kinder mitgeben, aber so konnte ich sie einpacken. Ich bekam ein Einzelzimmer, duschte den Rauch-Geruch ab und schlief sofort tief und fest ein.

 

Am Morgen schien die Sonne!
Und so blieb es den ganzen Tag. Was für ein göttliches Hochzeitsgeschenk!
Auch ich freute mich sehr, denn durch die Kälte im Flugzeug und das viele Erzählen (ähäm) fühlte sich mein Hals nicht gut an.

Wir frühstückten zusammen und hatten viel Zeit, denn die Trauung sollte um 14:30 Uhr beginnen.
Was für ein Spaß, sich mit allen Schwestern und Cousinen für eine Hochzeit vorzubereiten!
Die eine machte der anderen die Haare, die nächste wollte nicht angesprochen werden, weil sie sich selbst einen Zopf flocht. Eine verteilte Haarspray, eine andere zog sich kichernd eine Bauch-weg-Unterhose an und eine musste der anderen das Kleid mit einer Klammer feststecken. Shampoo und Fön wurden geteilt. So muss das sein!

Wir feierten eine wunderschöne Hochzeit, die Sonne schien, es gab gutes Essen, wir machten ausgiebig Familienfotos. Wieder und wieder war es wunderbar, vollständig zu sein. Fast jedenfalls. Ich war wach und glücklich und genoß die Zeit sehr! Weil wir von der Kirche zum Feiersaal nur ungefähr 50 Schritte gehen mussten, fuhr das Brautpaar auf dem Tandem durch einen Spalier. Während der Kaffee-Zeit war es die Aufgabe der Gäste gewesen, bunte Papierflieger zu basteln und sie dann dem Brautpaar zuzuwerfen. Immer wieder drehten die beiden um, um erneut an uns vorbeizufahren. Und wir hoben die Flieger schnell wieder auf, um es wieder bunt regnen zu lassen.

Hochzeitsgefährt

 

Zur Nachfeier wurde der Film von meinen Söhnen gezeigt und ich tanzte und redete bis 4:30 Uhr. Das lag nicht nur daran, dass das eine der wenigen Hochzeiten war, auf der ich ohne Kinder sein durfte, auch der Jetlag half mit. Es war wirklich schön, sich während der Feier nicht um ein einziges Kind kümmern zu müssen. Wenn ich mit Freunden über Amerika redete und die Rede von „hier“ war, war ich oft verwirrt und wusste nicht genau, wo ich eigentlich gerade war.

Am Abend musste ich mich jedoch wieder von allen verabschieden, denn meine Eltern wollten mich am Sonntag gegen 8:00 Uhr zum Flughafen fahren. Nach weniger als 3 Stunden Schlaf machte es mir überhaupt nichts aus, aufzustehen. Hallo Jetlag! Es regnete in Strömen. Alle anderen schliefen noch. Mein Vater brachte mich mit den Koffern zum Schalter und schon war ich wieder allein. Es war komisch, in Deutschland, jedoch nicht in Berlin gewesen zu sein. Und es war komisch, zu wissen, dass ich Deutschland erstmal nicht wiedersehen würde. Unsere längste Zeit in Amerika kommt erst noch.

So ruhig, wie die Hinreise war, so wuselig war die Rückreise. Das Einchecken dauerte deutlich länger, denn die Amerikaner lassen nicht einfach jeden in ihr Land. Oh nein! Auch keine junge, unschuldige Frau. Auch nicht jemand, der bereits Visum und Aufenthaltsgenehmigung hat. Boah.
Und das, obwohl es Sonntag morgen war…
„Wer hat sie zum Flughafen gebracht?“
„Waren Ihre Koffer jemals ohne Ihre Aufsicht?“
„Haben Sie Geschenke mit dabei?“
„War Ihr Mobiltelefon in den zwei Tagen in der Reparatur?“
Nein… ich war auf einer Hochzeit. Auf dem Dorf. Und es war Wochenende. Hallo?

Der Koffer wurde schnell eingecheckt. Jedoch sagte man mir, dass ich ihn in Atlanta für die Zoll-Kontrolle abholen und danach erneut einchecken müsse. Vor der Sicherheitskontrolle wurde ich vorsichtig gefragt, ob ich schwanger sei. Nein!? Dann wurden meine Taschen und ich mit einem kleinen Schnipsel irgendwas abgewischt und der Schnipsel danach in ein Auswertungsgerät geschoben. Es fing laut und unangenehm zu Piepsen an und der Display leuchtete rot auf. Rot! Nicht etwa grün oder vielleicht gelb oder orange, nein: Rot!
„Sprengstoff erkannt“ war die Meldung.
Ja nee, is klar…
Sehe ich, scheinbar halb schwanger, aus, als würde ich Sprengstoff dabei haben???
Sofort fielen mir Geschichten ein, bei denen man Menschen Drogen in die Koffer geschmuggelt hatte. Daher also die Frage, ob ich meinen Koffer aus den Augen gelassen hatte. Hatte ich ja aber nicht.

Ohne, dass ich ihn habe kommen hören, stand plötzlich ein riesiger Polizist vor mir. Sein schwarzer Gürtel mit Waffe war auf meiner Augenhöhe! Die Frau, die mich abgewischt hatte und mich bis jetzt nur kalt als „Objekt mit Sprengstoff“ ignoriert hatte, lächelte mich jetzt wenigstens freundlich an und sagte: „Das liegt manchmal auch am Parfum. Welches benutzen Sie?“
Dass ich an dem Morgen weder Parfum noch Handcreme benutzt hatte, sagte ich ihr nicht. Ich war mir ziemlich sicher, dass sich in meinen Koffern kein Sprengstoff befinden konnte.

Die Dame wechselte ihre Handschuhe und sowohl die Handschuhe, als auch der Test-Schnipsel wurden für weitere Untersuchungen eingetütet. Vielleicht war es ja nämlich auch das Parfüm der Frau. Ha! Genau.

Meine Handtasche, mein Koffer und ich wurden nochmals sorgfältigst mit je drei unterschiedlichen Test-Schnipseln abgewischt und in den Automat gesteckt. Natürlich war das Ergebnis jedesmal leuchtend-grün und Sprengstoff-frei. Natürlich! Wie gut, dass ich mit diesen Beamten noch deutsch sprechen konnte.

Ohne noch größere Zwischenfälle kam ich am Gate an. Es war ungefähr 10:00 Uhr und ich hatte nichts gegessen. Leider hatte ich keinen einzigen Euro und auch keine EC-Karte dabei. Also musste ich auf das Essen im Flugzeug warten. Ich bekam einen Fensterplatz in der letzten Reihe und der Platz neben mir blieb wieder frei, denn das Flugzeug war kaum voll. Schräg vor mir saßen vier Jugendliche aus Süddeutschland, die auf dem Weg nach Jamaika waren… Einen sehr umfangreichen von ihnen konnte ich gut beobachten. Pro Stunde bestellte er eine Dose Bier und nach der achten hörte ich auf, zu zählen. Bestimmt wird er einen tollen Urlaub im mittelamerikanischen Land des Reggae haben… Oh yeah.

Küste von Frankreich

Küste

Es war gut, diesmal zuerst die lange Strecke zu fliegen. Wir flogen über Paris und ich machte Fotos von Frankreichs Westküste. Eigentlich wollte ich nicht so viel schlafen, um zur Ankunft am Abend schlafen zu können, aber ich war sehr müde. Das Video-System ruckelte und es machte keinen Spaß, Filme anzusehen. Ich fror, weil ich noch nass vom Weg zum Flughafen war und kalte Füsse hatte. Und so schlief ich viel. Der Flug dauerte ungefähr 9 Stunden. Ein paar Luftlöcher jagten mir einen Schreck ein, aber die Reise war doch ruhig. Über den Wolken schien die Sonne und ich konnte das Meer und viele winzige Schiffe sehen. Ungefähr auf Höhe von Delaware oder Maryland kamen wir wieder über dem Festland an. Wir flogen über Durham und es war komisch, diese Umgebung zu sehen, in der wir auch schon zwei Wochen gewohnt hatten.

Amerikanisches Festland in Sicht

Festland

Als ich dieses Zoll-Formular ausfüllen musste und ankreuzen sollte, ob ich etwa Verbotenes einführen wollte, musste ich kurz grinsen und überlegen, ob ich bei (d) „Ja“ ankreuzen soll. Wir waren ja schließlich auf einem Dorf…

Zoll Formular

Jetzt stand mir das Einreise-Gespräch bevor. Mit vielen Menschen folgte ich den Schildern und stellte mich in die Schlange derer, die nicht mit ESTA, sondern mit Visum einreisen. Auch diese ganzen Gespräche hatte mein Mann auf unserer Einreise übernommen. Es war ungefähr 14:00 Uhr in Atlanta. Nach und nach wurden mehrere Schalter geöffnet und erst war ich froh, dass ich einen weißen Beamten vor mir hatte. Ich verstehe das Englisch der Weißen irgendwie besser. Aber dieser Kollege war… nicht nett. Ohne eine Miene zu verziehen bat er mich, meine Finger auf das entsprechende Gerät zu legen und ohne Brille in eine Kamera zu sehen. Dann fragte er mich nach dem Grund meiner Reise. Er verstand erstens nicht, dass ich für nur zwei Tage das Land verlassen hatte. Ausserdem verstand er nicht, warum mein Mann und meine Kinder währenddessen in Amerika geblieben waren. Ein Überraschungsbesuch bedeutete ihm nichts! Er konnte in meinen Unterlagen und in meinen Worten keinen Beweis finden, das ich Amerika zu gegebener Zeit wieder verlassen werde. Es ist allerdings auch verwirrend, denn unsere derzeitige Aufenthaltserlaubnis endet im November, unser Rückflug ist im Januar gebucht und wir wollen aber versuchen, bis März zu bleiben. Zwischendurch fragte er gelangweilt: „Do you know what you’re talking about?“ („Weißt du überhaupt, wovon du redest?“) Seine Arroganz und seine Überheblichkeit gingen mir auf die Nerven. Auch ein vorbereitetes Schreiben der Kirche in Irvine machte ihn nicht glücklich. Er steckte meine Unterlagen in einen gelben Umschlag (wenigstens diesmal gelb und nicht rot) und schickte mich in ein Nebenzimmer. Wie froh war ich über meine 2 1/2 Stunden Aufenthalt in Atlanta! Mit wenigen anderen Personen wartete ich unruhig. Drei dunkelhäutige Beamte, die kein Gefühl zeigten, ließen sich mit unseren „Fällen“ sehr viel Zeit.

Ich wurde aufgerufen, musste wieder den Grund meiner Reise erklären, aber auch hier hinterließen Worte wie „Bruders Hochzeit“ oder „Überraschung“ keinen Eindruck. Nach einer weiteren Wartezeit und einer Absprache mit seiner Kollegin gab er mir den neuen Stempel: Aufenthaltserlaubnis bis Februar. Yeah!

Ich folgte den Schildern, die mich zu meinem Koffer führen sollten. Auf einem Gepäckband, das sich bereits nicht mehr drehte, lag er – ganz allein in der letzten Ecke. Fast zufällig fand ich ihn. Ohne Probleme fand ich meinen Weg und konnte den Koffer wieder abgeben. Der Typ am Schalter nahm den Koffer und fragte: „San Marino, right?“ Ich zuckte zusammen, wollte nach meinem Koffer greifen, aber da sagte er: „Oh sorry, Los Angeles!“ Danke.

Ich fuhr wieder mit einem Zug zu meinem Gate. Gerade noch rechtzeitig kam ich an und konnte direkt an Bord gehen. 2 1/2 Stunden Aufenthalt! Ich fand meinen Platz und wollte mich häuslich einrichten, da kam ein Pärchen in unseren Gang. Der Mann sollte neben mir sitzen, die Frau nicht. Er bat mich, zu tauschen, da sie doch verlobt waren und irgendwas… Klar, war mir egal. Ich machte sie glücklich und setzte mich auf einen anderen Platz am Gang.

Kurz vor der Abreise kam eine gut gelaunte Stewardess, stellte sich an meinen Gang und sagte: „So, ihr zwei Reihen, ihr sitzt hier am Emergency-Sitz…“ (nicht schon wieder! War mir gar nicht aufgefallen.) „… und deswegen muss ich euch fragen, ob ihr bereit wärt, in einem Notfall zu helfen. Ich muss von allen von euch ein lautes Yes hören.“ Wir waren 12 Personen. Die erste Person sagte „Yes.“, die zweite sprach kein englisch und hatte scheinbar nichts verstanden. Die Personen an der Notfall-Tür müssen aber den Ernst der Lage verstanden haben und antworten können. Es wurde also ins Flugzeug gerufen, ob denn jemand bereit wäre, den Platz zu tauschen. Schnell fand sich eine Freiwillige und es ging weiter. Mehr Personen sagten „Yes“, dann gab wieder jemand zu verstehen, dass er kein Wort verstanden hatte. Diesmal dauerte es länger, eine freiwillige Person zu finden. Endlich meldete sich eine junge Frau aus den vorderen Reihen. Doch als die beiden gerade tauschen wollten, sah die Stewardess, dass die Dame einen Hund auf dem Schoß hatte. Nein, Personen mit Tieren dürfen nicht an der Emergency-Tür sitzen. Die Stewardess nahm es mit Humor und auch wir kicherten schon. Irgendwann kam eine ältere Dame von hinten, tauschte den Platz und durfte sitzen bleiben.

Neben mir saß ein polnisches Pärchen und sah sich die meiste Zeit online Shoppingseiten auf dem iPad an. Die 3 Stunden vergingen gar nicht und ich langweilte mich schrecklich. Als es endlich soweit war, schnappte ich mir mein Zeug und beeilte mich, um meine Männer zu sehen.

In Los Angeles sind die Kofferbänder am Ausgang, so dass sich eigentlich jeder Tourist einen Koffer schnappen könnte.. irgendwie komisch. Ich fand mein Band, aber bevor der Koffer kam, rannten zwei kleine blonde strahlende dreckige Jungs auf mich zu. Was für ein Glück! Liam durchforstete meine Tasche auf der Suche nach Bonbons. Aber ich hatte nichts mehr. Glücklicherweise hatte ich ein Geschenk für die Jungs in mein Handgepäck gepackt. Es waren Bücher von meiner Oma. Voller Freude rissen die Jungs das Papier ab und freuten sich über die schönen Bücher. Wir mussten ein bißchen auf den Koffer warten, aber er war dann doch nicht in San Marino, sondern in Los Angeles angekommen.

Ich nahm die Jungs auf dem Weg zum Auto an die Hand. Emilian hatte keine Schuhe an. Ich war wieder in Kalifornien angekommen! Die Wärme tat mir gut, ich war wieder zuhause. Irgendwie.

Ich war müde und hungrig und mein Hals tat weh. Die Kinder quengelten und so las ich ihnen auf dem Weg nachhause schon die neuen Bücher vor, die sie bekommen hatten. Wir kehrten bei unserem Lieblings-Restaurant ein, auch den Abschied am Mittwoch hatten wir dort gefeiert. Es tat gut, die Wärme und meine Kinder um mich zu haben. Emilian plapperte immer wieder irgendwas von: „Du musst noch 9 Minuten draussen bleiben, wenn wir zuhause sind.“

Eine aufgeräumter als erwartete Wohnung empfing mich. An der Küchenzeile hing ein Willkommens-Gruß von Emilian. Ausserdem hatte er ein großes, wichtiges Bild für mich gemalt. (Mehr Infos dazu im nächsten Blog-Eintrag) Wir alle waren müde, aber ich wollte den Kindern einfach noch die Freude machen und ihnen meine mitgebrachten Geschenke geben. Mein Mann sagte mit einem Grinsen: „Du machst meine ganze Erziehung von den vier Tagen wieder kaputt!“

Das war ein Fest! Gummibären, Traubenzucker, Schokolade aus Deutschland. Zahnpasta für Papa, Gesichtscreme für Mama, neue Kuscheltücher für die Kinder und viele, viele Bücher. Neue geschenkte und alte gewünschte aus dem Kinderzimmer in Berlin. Liam freute sich am meisten über die knallrote geklaute Flugzeugdecke, die ich ihm geschenkt hatte. Voller Freude und Glück schliefen die Jungs ein. Ich ging duschen und brauchte dann auch nicht lange, um einzuschlafen.

Für Mama 1 Für Mama 2

 

Heute war ein Feiertag in Amerika. Labor Day.
Wir schliefen lange aus, frühstückten Pancakes und lebten in den Tag hinein. Papa ging mit Liam einkaufen, ich räumte viel auf, wusch Wäsche und bereitete das Bett für meine Schwester vor.
Es kommt mir hier sehr heiß vor. Vielleicht, weil ich vier Tage nicht da war. Aber man sagt auch, dass der September hier nochmal ein sehr warmer Monat wird. In freien Augenblicken sprangen die Kinder wie Flummis um Papa herum, was sie sonst nie taten. Wie ich das genoß!

So wie ich hat auch mein Mann heute einen Blog-Eintrag über die vergangenen vier Tage aus seiner Sicht verfasst. Ich werde ihn in ein paar Tagen für euch hier veröffentlichen.

 

Ich bin sehr dankbar! Überaus.
Ich bin dankbar für vier ruhige Flüge. Ich bin dankbar, für viele Überraschungsmomente in Stuttgart. Ich bin dankbar für viele Gespräche und schöne Zeiten mit lieben Freunden. Ich bin dankbar für meinen wunderbaren kleinen Bruder und seine wunderbare schöne Frau! Ich bin dankbar, dass auch meine Kinder und mein Mann eine so schöne Zeit hatten.
Ich bin dankbar für dieses überstandene Abenteuer!

 

 

Comments

  1. […] vom abgestürzten Flugzeug erwischte mich nach dem Aufstehen volle Kanne. Als ich im August meinen Flug nach Deutschland gebucht hatte, konnte ich nicht aufhören, an die tragischen Flugzeug-Unglücke zu denken, die kurz […]

  2. andrea says:

    Danke für den tollen Bericht! Sehr amüsant!

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